Kronen Zeitung

Was ist in Erdoğan gefahren, Herr Botschafte­r? Ob ich nie daran gedacht habe, Deutsch zu lernen? Ich gestehe, Sie treffen einen wunden Punkt.

- FORTSETZUN­G

Auch Bundeskanz­ler Kern wurde auf Facebook von radikalen ErdoğanFan­s mit Mord bedroht. Am Mittwochab­end meinte der Kanzler, dass der EUBeitritt der Türkei nur noch eine „diplomatis­che Fiktion“sei, der türkische Außenminis­ter bezeichnet­e Kerns Aussagen als „hässlich“und Österreich als „Zentrum des radikalen Rassismus“. Am Freitag wiederholt Außenminis­ter Kurz: Die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei müssen sofort gestoppt werden.

Es gibt aktuell eine Diskussion über den Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei. Hat sich das die Türkei selber zuzuschrei­ben?

Ich war stellvertr­etender Minister für Europäisch­e Angelegenh­eiten in der Türkei und kenne unsere Beziehunge­n zur EU sehr genau. Wir haben die letzten 55 Jahre an der Tür der Europäisch­en Union angeklopft, es gibt kein anderes Land, das sich so lange um eine EU-Mitgliedsc­haft bemüht hat. Es gibt Leute, die sagen, dass sich die Türkei von der EU entfernt. Ich frage Sie: Ist es wirklich die Türkei, die sich von der EU entfernt, oder ist es die EU, die sich mehr und mehr entfernt? Beispiel Visa-Erleichter­ung: Es gibt Länder – in Südamerika und am Balkan –, die überhaupt keine Beziehung zur Europäisch­en Union haben und deren Bürger trotzdem Reisefreih­eit genießen. Die Türkei ist ein Beitrittsk­andidat, und trotzdem müsdenke, sen unsere Bürger Schlange stehen?

Überrascht Sie das wirklich, wenn der Präsident über die Todesstraf­e nachdenkt und die Bedingung für die Visafreihe­it – die Aufhebung der Terrorgese­tze – nicht erfüllt?

Wir sind uns bewusst, dass das ein Problem für die EU ist, aber ich in dieser Situation erscheinen Drohungen nicht unbedingt hilfreich. Ich glaube nicht, dass Partner so miteinande­r kommunizie­ren sollten. Momentan brauchen wir Unterstütz­ung von unseren europäisch­en Verbündete­n, denn eine stabile Türkei ist nicht nur sehr wichtig für die Region, sondern auch für Europa und die ganze Welt.

An welche Unterstütz­ung denken Sie?

Die türkische Demokratie war einer großen Gefahr ausgesetzt, und wir hätten uns gewünscht, dass europäisch­e Außenminis­ter in die Türkei gekommen wären und ihre Solidaritä­t und ihr Beileid für jene, die bei der Verteidigu­ng der Demokratie ums Leben gekommen sind, bekundet hätten. Leider ist das nicht passiert. Was die Visapflich­t angeht, gibt es ein sehr großes Missverstä­ndnis. Diese Debatte begann schon lange vor der Flüchtling­skrise.

Die Türkei droht jetzt mit einem Platzen des Flüchtling­sdeals. So sollte man auch nicht miteinande­r kommunizie­ren . . .

Es gibt momentan drei Millionen Syrer, die in der Türkei leben, in Camps und außerhalb. Wir haben bis jetzt mehr als acht Milliarden Euro aus unserem Budget in die Flüchtling­e investiert. Unglücklic­herweise wird nicht wertgeschä­tzt, was die Türkei bis jetzt gemacht hat. Der Flüchtling­sstrom nach Griechenla­nd ist stark zurückgega­ngen.

Präsident Erdoğan hat gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann Strafanzei­ge wegen eines Schmähgedi­chtes eingebrach­t. Sind Sie da bei ihm?

Haben Sie das gesehen? Zwischen Kritik und Beleidigun­g gibt es einen Unterschie­d!

Das war Satire. Es fällt bei uns unter „Freiheit der Kunst“.

Ich könnte das nicht einmal meiner Tochter zeigen!

Herr Botschafte­r, wir haben dieses Interview auf Englisch geführt. Haben Sie in all den Jahren nie daran gedacht, die deutsche Sprache zu lernen?

Sie treffen einen wunden Punkt. Ich muss gestehen, das hätte ich bereits in den 1990er-Jahren tun sollen, als ich das erste Mal hier in Österreich war. Jetzt ist meine Zeit als Botschafte­r schon bald abgelaufen. Ich bin zum Botschafte­r in Portugal ernannt worden. Ich werde Wien wahrschein­lich im September verlassen müssen.

Böhmermann­s Gedicht ist Freiheit der Kunst? Ich kann es nicht einmal meiner Tochter zeigen.

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Mehmet Hasan Göğüş im Gespräch mit „Krone“-Redakteuri­n Conny Bischofber­ger

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