Des Dichters Giftbiss ging flöten!
Salzburger Festspiele: Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“
Der Skandal um das nicht erloschene Notlicht am Ende der Uraufführung 1972, eine Claus-Peymann-Inszenierung, ist längt belächelte Festspielgeschichte: Mit Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“verabschiedet sich Schauspieldirektor Sven-Eric Bechtolf aus Salzburg – noch dazu als Mime im Redeschwall.
Der „Erfindungsreichtum des Feuilletons“, auf den Bernhards Doktor im ersten Akt leicht zynisch anspielt, ist gefordert! Denn die Ergüsse über die Kunst, über die „Scharlatanerie“der Gesangslehrer, die sich neumodisch „Gesangspädagogen“nennen, und die Perlustrierung von menschlichen Daseinszuständen, eben das breitgefächerte, überzeichnende Thomas-BernhardRepertoire, wirkt besonders in diesem Stück schon etwas antiquiert, der Giftbiss ging flöten. Und reizt nicht einmal mehr zur Verklärung. Das lag wohl auch am Ton.
Bernhards Personal, die Königin der Nacht, ihr Vater (der Ignorant) und der Doktor (der Wahnsinnige) sind in Theaterehren ergraut. Merkwürdig beschaulich mutet das Werk trotz der Ausritte des Doktors zwischen hoher Schule des Sezierens von Leichen und der Auseinandersetzung mit menschlichem Geist wie Geistlosigkeit publikumsfreundlich an. Auch wenn der besessene Mediziner vor den Tönen aus Mozarts „Zauberflöte“über alles und alle herzieht. Gestichelt wird, aber die Stiche haben das Schmerzhafte verloren.
Zwei ältere Herren warten in einer Operngarderobe in einem Meer aus Salzburg-typischen Seidenblumen auf die sich immer mehr verspätende Diva: Bis hin zu kurzen Panik-Attacken zelebriert Sven-Eric Bechtolf sein mit Medizinerlatein gespicktes Bühnenleben. Er glättet Bernhards Sprache, zeigt wenig bis keine Kanten, keine Gedankenbrüche. Bernhards Textkonvolut rinnt in einem breiten, trägen Fluss an einem vorüber. Ohne aber in einen einzudringen.
Christian Grashof als fast blinder, trunksüchtiger Vater, als immer wieder kurz Phrasen wiederholender Zuhörer, tappt besonders im zweiten Akt, im Restaurant Drei Husaren, durch die Szene. Und bemüht sich um Erschütterung. Blass und wenig Primadonna Annett Renneberg als Königin: Gelungen ihre Stimmübungen, enttäuschend ihre Stimme beim Sprechen . . . 222-mal Königin der Nacht? Das glaubt man ihr keinen Moment.
Regisseur Gerhard Heinz und Martin Zehetgruber (Bühne) haben den Bernhard-Abend in Atmosphäre getaucht, dem Ensemble (ergänzt durch Barbara de Koy als Garderobiere und Michael Rotschopf als Kellner Winter) viel Freiraum gegeben. Am Ende gibt es bei allgemeiner „Erschöpfung“grelles Gegenlicht ins Publikum statt totaler Finsternis. Viel Jubel!