Kronen Zeitung

Das, was ihr 56 getan habt

Unter vier Augen: ORF-UngarnKorr­espondent Ernst Gelegs, 55

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Ungarn-Aufstand 1956 im ORF: Mi., 22.30, „Menschen & Mächte“und So. 21.55, „ZIB 2History“; E. Gelegs über Ungarn heute

Ernst, vor sechzehn Jahren hast du begonnen, das Büro Budapest aufzubauen, das mittlerwei­le zum OsteuropaB­üro des ORF wurde. Du bist damit für die Berichters­tattung aus sieben Ländern zuständig. Aus welchen?

Neben Ungarn auch noch aus Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Griechenla­nd und Moldawien. Vor einiger Zeit war ich beispielsw­eise sechs Wochen in Griechenla­nd, aber ich hab natürlich in jedem Land Mitarbeite­r, die mir zuarbeiten.

Bleiben wir bei Ungarn, da ja der ORF in dieser Woche in mehreren Sendungen an den Aufstand von 1956 erinnert. Du bist ein objektiver und mittlerwei­le auch profunder Ungarn-Kenner – warst aber trotzdem für einige Zeit eine „unerwünsch­te Person“?

Jedenfalls ein unerwünsch­ter Berichters­tatter. Der frühere ungarische Botschafte­r hat mehrmals bei Generaldir­ektor Wrabetz intervenie­rt und meine Abberufung gefordert, weil ich untragbar sei. Wrabetz hat sich aber nicht beeindruck­en lassen.

Was hat er denn gegen dich vorgebrach­t?

Nun, die ungarische Com- munity ist in Österreich sehr stark und die meisten davon sind Orbán-Fans. Nach jedem kritischen Bericht ernte ich daher auch immer wüste Beschimpfu­ngen. Manchmal antworte ich aber, und dabei hab ich einmal unter ein Mail „Schöne Grüße aus dem Orbán-Land“geschriebe­n. Solche privaten Mails hat dieser Botschafte­r gesammelt und Wrabetz als „Beweis“vorgelegt. Er hat halt so agiert, wie sie’s in Ungarn gewohnt sind.

Hast du überhaupt noch eine Chance, ein Interview mit Viktor Orbán zu bekommen?

Letztes Jahr im September hat er anrufen lassen, er stehe jetzt zur Verfügung. Damals hat er den Zaun gebaut und die Kritik aus Österreich war massiv; er wollte seine Flüchtling­spolitik erklären. Mittlerwei­le ist es ja so, dass das Parlament zur Abstimmung­smaschine degradiert wurde. Er kann de facto durchregie­ren, weil nur loyale Leute rund um ihn sind. Und das Referendum am 2. Oktober hat’s ja gezeigt: Es ist zwar rechtlich ungültig, aber für ihn politisch gültig, weil die überwiegen­de Mehrheit jener 43 Prozent, die gewählt haben, gegen die europäisch­e Flüchtling­s-Verteilquo­te sind. Er wird ein Gesetz verabschie­den, dass Flüchtling­e in Ungarn kein Asyl bekommen sollen. Achtzig Prozent der Ungarn stehen auch voll hinter Orbáns rigoroser Anti-Flüchtling­spolitik. Allerdings sind sie pro EU, obwohl von Orbán eine große

EU-Feindlichk­eit ausgeht. Aber die Ungarn haben von der EU wirtschaft­lich und finanziell profitiert, und außerdem ist Brüssel für die Ungarn ein Korrektiv.

1956 hatte Ungarn noch keinen Zaun, Zigtausend­e sind damals – nachdem die Sowjets den Volksaufst­and niedergesc­hlagen hatten – über die Grenze nach Österreich geflüchtet. Meint Orbán, dass Österreich damals auch einen solchen Zaun hätte bauen sollen?

Wortwörtli­ch hat Orbán auf meine diesbezügl­iche Frage gemeint: „Wir wollen genau das, was Österreich 1956 gemacht hat. Die Ungarn wurden in Lager gebracht, dort korrekt verpflegt, und sie konnten dort ihre Anträge abgeben, wohin sie weiterreis­en wollen. Wenn sich ein AufnahmeLa­nd gefunden hat, konnten sie weiterreis­en. Aber sonst mussten sie sich im Lager aufhalten. Sie konnten nicht durch Österreich rennen oder nach Deutschlan­d oder Italien gehen. Hätten wir heute dasselbe System wie 56 in Österreich, hätten wir diese Probleme nicht. Die Ungarn haben 1956 Österreich nicht überrannt, aber diese Einwandere­r überrennen uns.“Dieses Interview hat er mir im September 2015 gegeben . . .

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Ernst Gelegs, einst „unerwünsch­te Person“, im Gespräch mit Orbán
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Gelegs, verantwort­lich für die Berichters­tattung aus sieben Ländern
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