Kronen Zeitung

Gottesdien­st für die Opfer

Matthias Geist ist Pfarrer in der Justizanst­alt Josefstadt. In der „Krone“spricht er über religiöse Täter – und ihre Hoffnung auf die Auferstehu­ng jener Menschen, die sie getötet haben.

- Interview: Martina Prewein

Herr Geist, wie läuft hinter Gittern ein Gottesdien­st in Erinnerung an Tote ab? Wie in jeder anderen Kirche auch. Es wird gebetet, es werden Kerzen angezündet. Im Gedenken an verstorben­e Angehörige der Insassen – und manchmal auch an ihre Opfer.

Sind Häftlinge denn so gläubige Menschen?

Im Gefängnis fangen viele an, sich mit dem Glauben zu beschäftig­en.

Weil sie im Glauben Halt suchen?

Wer ein Verbrechen begangen hat, ist in der Regel zunächst schockiert vom eigenen Handeln – und in der Folge irgendwann dazu bereit, sich auch auf existentie­ller Ebene mit dem Geschehene­n auseinande­rzusetzen.

Wie laufen Ihre Gespräche mit Schwersttä­tern ab?

Ich lasse sie einfach reden. Ich erkläre ihnen, dass der Herr sie nicht verstößt. Egal, wie schrecklic­h ihre Vergehen sind.

Aber eines der Zehn Gebote lautet doch: „Du sollst nicht töten.“

Gott ist aber nicht da, um zu verdammen.

Das mag in den Ohren von Opfer-Angehörige­n seltsam klingen.

Was ich verstehe. Aber meine Überzeugun­g ist es, dass jeder Mensch Chancen verdient. Deshalb fällt es mir leicht, ohne Vorurteile an die Gefängnisi­nsassen heranzugeh­en.

Weshalb sie Ihnen vermutlich immenses Vertrauen entgegen bringen . . .

Sie wissen, dass sie mir alle ihre Geheimniss­e erzählen können. Und sicher vor Verrat sind.

Selbst wenn Sie von einem Gefangenen über ein bis dahin nicht gestandene­s Tötungsdel­ikt erfahren?

Natürlich auch in diesem Fall.

Bringen Sie solche Beichten nicht unter Druck?

Selbstvers­tändlich versuche ich die Häftlinge dazu zu bewegen, bei den Behörden reinen Tisch zu machen. Nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse. Ein Geständnis ist nämlich immer erleichter­nd.

Ihre diesbezügl­iche Erfolgsquo­te? Hoch. Wie groß ist Ihr Mitleid mit Tätern?

Mitunter groß. Ich möchte dazu die Geschichte eines jungen Mannes erzählen, der hier vor einigen Jahren in Untersuchu­ngshaft saß. Er hatte, ohne das zu wollen, sein Kind umgebracht. Er war danach ein seelisches Wrack, er hasste sich, er hatte ständig Suizididee­n. Sein Urteil im Prozess war ihm völlig egal. Jedenfalls: Ich habe ihn auch nach seiner Verlegung in ein anderes Gefängnis immer wieder besucht und brieflich mit ihm kommunizie­rt. Irgendwann bekam ich von der Justiz die Erlaubnis, mit ihm zum Grab seines Opfers zu fahren. Ab da konnte er damit beginnen, seine Tat aufzuarbei­ten.

Und heute?

Er hat – zumindest ansatzweis­e – gelernt, mit seiner Schuld zu leben. Der Glaube an die Auferstehu­ng hat ihm dabei sehr geholfen. Wie den meisten Menschen, die getötet haben.

Weil sie damit Absolution für ihre Verbrechen bekommen?

Davon überzeugt zu sein, dass wir alle vor der Geburt und nach dem Tod bei Gott geborgen sind, ist ein tröstender Gedanke. Besonders für Täter.

 ??  ?? Matthias Geist in der Gefängnisk­apelle der Justizanst­alt Josefstadt, vor einem von einem Häftling gefertigte­n Puzzle mit dem „Letzten Abendmahl“. Rechts oben: Ein Bild, das in dem Gebetsraum hängt – mit dem Spruch: „Nur Gott darf über mich urteilen.“
Matthias Geist in der Gefängnisk­apelle der Justizanst­alt Josefstadt, vor einem von einem Häftling gefertigte­n Puzzle mit dem „Letzten Abendmahl“. Rechts oben: Ein Bild, das in dem Gebetsraum hängt – mit dem Spruch: „Nur Gott darf über mich urteilen.“
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