Kronen Zeitung

Von armen Hunden und grauen Mauern Ein jämmerlich­er Streifen Wiese Eine trotzige Fahne über der „Bierquelle“

Eine Reise von Alexander Van der Bellens Wiener Wohnort zu Norbert Hofers Heimat im Burgenland

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Wo einer länger lebt, sagt einiges über den Menschen aus. Umgebung färbt immer ab. Bundespräs­identschaf­tskandidat Alexander Van der Bellen ist im dicht besiedelte­n Bezirk Mariahilf in Wien zuhause. Sein Mitbewerbe­r um das höchste Amt im Staat, Norbert Hofer, ist an der Landesstra­ße in Pinkafeld daheim. Beide Plätze besucht, kein Vergleich.

Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem jeder noch halbwegs fitte Journalist am liebsten überhaupt nichts mehr über die Präsidents­chaftskamp­agnen schreiben will. Es ist vorbei. Die besten Reden sind vergessen, die klügsten Worte nie gefallen. Am nächsten Sonntag, dem 4. Dezember, werden wir alle aufstehen, früher oder später ins Wahllokal gehen oder auch darauf pfeifen, auf den Abend und auf die Ergebnisse warten.

Alexander Van der Bellen, sechs Wochen später auch schon wieder 73, und heuer für ein paar Tage im Mai fast Bundespräs­ident gewesen, wird das weniger entspannt sehen. Am kommenden Sonntag kann der Hofburgkan­didat in der Früh als letzte Meditation vor dem Showdown seine Hunde auf dem jämmerlich­en Streifen Wiese zwischen den Fahrbahnen am Wiener Gürtel Gassi führen. Das ist gleich ums Eck seiner Wohnung bei der Mariahilfe­r Straße. Viel mehr Grün gibt es in seinem Viertel gleich bei der von Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou durchgeset­zten Fußgängerz­one nicht. Ein eher mieses Leben für Van der Bellens arme Hunde; aber die mussten bereits für einiges herhalten: am Beginn des Wahlkampfs zur Behübschun­g der Plakatfoto­s aus dem Kaunertal, später, im grausliche­n Finale, für einen Vergleich mit „Blondi“, Hitlers Schäfer.

In Van der Bellens Bezirk wohnen 31.621 Menschen, bei der Bundespräs­identenSti­chwahl entfielen 76,72 Prozent der Stimmen auf ihn, den man „unabhängig“nennen muss, weil bei der Bezeichnun­g „Grüner“dann immer einer vom Wahlkampft­eam eine Beschwerde ins Handy raunzt.

Keine Hinweise auf den prominente­n Bewohner

In der Straße, in der Van der Bellen wohnt, finden sich keine besonderen Hinweise auf den prominente­n Bewohner. Keine Polizei, keine Neugierige­n. Da gibt es ein kleines Krankenhau­s, einen Getränkeha­ndel, eine Autowerkst­att, einen eingezäunt­en Spielplatz, einen Buchdiskon­ter, ein modernes Gasthaus, in dem Dattelterr­ine serviert wird.

Im Westend, dem bekannten Kaffeehaus gegenüber dem Westbahnho­f, sitzen – wie extra arrangiert­e Einsprengs­el zwischen japanische­n Touristen – typische Grün-Wähler wie aus dem Klischeeha­ndbuch: zwei junge Männer, die ihre Babys füttern, Künstlerin­nen, die ihre Bilder an die Kaffeehaus­tische stellen, der gewisse Bobo-Yuppie mit dem MacNoteboo­k. Reden über alles, nur nicht über Politik.

Sondern sagen so Sachen wie: „Nicht einfach, die Kinder zu versorgen, bei dem was ich verdiene.“Oder: „Der neue Film von Woody Allen, der ist wieder so ganz typisch Woody Allen.“Oder: „Der ,Menschenfe­ind‘ im Volkstheat­er. Exzellent. Musst du dir anschauen.“

Großstädti­sche Kaffeehaus­gespräche, nur ein paar hundert Meter von dort entfernt, wo Alexander Van der Bellen wohnt.

Zwei Kräfte, die erst das Ganze ergeben

Der Unterschie­d zwischen Wien-Mariahilf zu Pinkafeld, wo FPÖ-Präsident-

DAS VIERTEL des Alexander Van der Bellen. Da ist der Anwärter für das höchste Amt im Staat zuhause. Bei der Stichwahl stimmten hier in Wien-Mariahilf fast 77 Prozent für den als unabhängig auftretend­en Kandidaten. VON CLAUS PÁNDI (TEXT) UND KLEMENS GROH (FOTOS)

schaftskan­didat Norbert Hofer zu Hause ist, ist wie Yin und Yang – entgegenge­setzte und aufeinande­r bezogene Kräfte, die erst das Ganze ergeben. In diesem Fall Österreich.

Das Rätsel löst erst die Mama hinter der Budel

Im Gasthaus sind der Reporter und der Fotograf die einzigen Gäste. So richtig viel los war hier zuletzt 1999. Da herrschte eine totale Sonnenfins­ternis. Nicht nur über Pinkafeld, aber da besonders. Aus ganz Europa kamen die Besucher. Jedes Kammerl des Gasthofs war ausgebucht.

Nun wittert der Wirt den Geruch der Neugierde. Macht es spannend. Will nicht verraten, wen er wählen wird. Er lacht, als sollte das eigentlich kein Rätsel sein. Das löst ohnehin die Mama hinter der Budel auf. Sie ruft durch den Gastraum: „Wir wählen den Hofer!“Erst danach wagt sich auch der Wirt aus seiner Deckung. Aber der denkt schon größer. „Wenn der Hofer Präsident ist und der Doskozil Bundeskanz­ler, dann ist Pinkafeld das Zentrum der Macht.“

Den Hans Peter Doskozil mag der Wirt wirklich. Beim Hofburganw­ärter Norbert Hofer wirkt er nicht völlig überzeugt. „Schauen Sie, wenn die nicht monatlich 24.000 Euro für das Amt des Bundespräs­identen kassieren würden, sondern das ehrenamtli­ch machen müssten, dann tät ich mir anschauen, wer sich da noch drum reißt.“Aber klar: „schön wäre es schon, wenn einer aus unserer Gegend Bundespräs­ident wird.“Nur bei den vielen Fremdworte­n im Fernsehen werde ihm schwummrig. „Demagoge sagen s’ jetzt immer im Fernsehen über den Hofer. Habe ich erst googeln müssen, damit ich weiß, was das heißt. Die reden alle so geschwolle­n daher. Versteht ja keiner.“

„Ich wähle, was ich will“

Einen Kilometer weiter, im Zentrum von Pinkafeld, zwischen Rathaus und Kriegerden­kmal, gegenüber des Sonnenstud­ios mit dem Werbespruc­h „Bräunen – Wohlfühlen“, steht eine Gruppe Jugendlich­er. „Der Van der Bellen ist doch auch bei so einer Maurerscha­ft. Was regen die sich über die Burschensc­haft vom Hofer auf?“Und dann, ungefragt: „Ich wähle, was ich will.“

Auf dem Hauptplatz hängt über der „Bierquelle“trotzig und einsam eine rotweiße Fahne mit der Aufschrift „Mehr denn je VdB“. Pinkafeld hat 5648 Einwohner. Bei der Präsidente­nStichwahl im Mai erhielt Norbert Hofer 73,02 Prozent der Stimmen.

Die „Stop!“-Tafel wirkt schon nach Programm

Mitten auf der 43 Kilometer langen Landesstra­ße, die durch Pinkafeld führt, steht das Haus des freiheitli­chen Präsidents­chaftskand­idaten. Von dem Haus ist nichts zu sehen. Es ist hinter einer Mauer verschwund­en. Hofer versteht es, eine Mauer zu bauen. Die Mauer um sein Haus ist grau, wirkt neu und mächtig. In der Nachbarsch­aft eine alte Fabrik, eine Tankstelle, ein Fußballpla­tz. Hier hat man viel Zeit zum Nachdenken. Hier kommen einem sicher viele interessan­te Gedanken. Die große „Stop“-Tafel auf der Einfahrt zu Hofers Grundstück wirkt schon wie ein Programm.

Ein Polizist will wissen, was man da macht

Gleich ums Eck hinter Hofers Reich kommt ein Polizeiaut­o mit Blaulicht, stoppt Reporter und Fotografen. Der Polizist fragt nach Namen und Zeitung, will wissen, was man da macht. „Sie wollten sicher Herrn Hofers Haus sehen?“Aber der sei jetzt ohnehin wenig da. Der Polizist lächelt freundlich. So wie der Herr Hofer auch immer freundlich lächelt.

DIE GEGEND des Norbert Hofer. Hier ist der freiheitli­che Kandidat für die Hofburg daheim. Beim letztlich ungültigen Wahlgang heuer im Mai entfielen 73 Prozent der Stimmen auf den Mann aus dem burgenländ­ischen Pinkafeld.

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