Kronen Zeitung

Der Endspurt des Wahlkampfs

Zum Amt und Amtsverstä­ndnis eines Bundespräs­identen wurde in zehn Monaten Dauerwahlk­ampf längst alles gesagt. Von jedem. Vor allem von Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer selbst. Und das nicht einmal, sondern unzählige Male. Bleibt hier nur noch zu

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1. Bei so gegensätzl­ichen Personen wie Alexander Van der Bellen und Nobert Hofer sollte man meinen, dass jeder Österreich­er bereits eine klare Meinung hat. Die klare Antwort aber lautet: Jein.

Immerhin hat sich ein Fünftel der Wähler in der aufgehoben­en Stichwahl am 22. Mai in den letzten ein bis zwei Wochen entschiede­n. Jeder Zehnte gar erst in den letzten Tagen vor dem Wahltag, obwohl man auch damals wusste, wie verschiede­n die Kandidaten sind. Bei einer Ausgangsla­ge von 50,4 zu 49,7% der Stimmen – so das damalige Ergebnis – sind Spätentsch­lossene das Zünglein an der Waage. 2. „Ich weiß sowieso seit einer Ewigkeit, wen ich wähle!“Das gilt allein für überzeugte Anhänger. Man darf nicht vergessen, dass im ersten Wahlgang fast vier Millionen entweder Nichtwähle­r waren oder für einen der ausgeschie­denen Bewerber gestimmt haben. Im Vergleich dazu waren in Summe bloß 2,5 Millionen von Anfang an für Van der Bellen oder

Hofer.

3. Im zweiten Wahlgang wollte ursprüngli­ch fast die Hälfte der Van-der-Bellenund rund ein Drittel der Hofer-Wähler in erster Linie den anderen verhindern. Ohne vom Gewählten vollends überzeugt zu sein.

Die Schlüsself­rage bei jenen, die sich für das aus ihrer Sicht kleinere Übel entscheide­n, lautet statt „Für wen bin ich?“eher „Gehe ich wirklich hin?“. Also geht es um eine Mobilisier­ung, solche Leute vom Wohnzimmer­sofa ins Wahllokal zu bringen. 4. Wähler mobili sierung funktionie­rt nicht durch Aufrufe in den Medien, sondern mittels Direktansp­rache auf der Straße oder mit Von-Tür-zu-Tür-Gehen.

Für Van der Bellens Kampagne spricht der im Frühjahr fast erfolgreic­he Versuch eines zivil gesellscha­ftlichen„ Überzeuge einen Anders denkenden !“Schneeball systems, für Hofer die viel höhere Zahl der Parteifunk­tionäre in Bezirken und Gemeinden. 5. Das Problem beider Seiten sind hingegen selbst ernannte Aktivisten, speziell im Internet. So wichtig neue Medien inzwischen sind – was radikale Fans eines Kandidaten da mit Schaum vor dem Mund von sich geben, schadet der Gesamtstra­tegie ihres Favoriten. Van der Bellen und Hofer versuchen, halbwegs ruhig und würdig aufzutrete­n.

Gerade Wechselwäh­ler bekommen freilich Angst, wenn ein Kandidat – gewollt oder unerwünsch­t – auf Facebook & Co. Unterstütz­er hat, die ihre Meinung in Form von Beleidigun­gen, Beschimpfu­ngen oder gar Gewaltaufr­ufen ausdrücken. 6. Ein schwierige­s Thema ist jenes der Wahlempfeh­lungen. Bekommt man automatisc­h mehr Stimmen, weil sich andere Menschen öffentlich für jemanden als Bundespräs­ident ausspreche­n? Nicht unbedingt. Oft sind das nämlich als Prominente die „üblichen Verdächtig­en“. Also Persönlich­keiten, die für die Lager von Van der Bellen und Hofer selbst entweder Sympathiet­räger oder

Feindbild sind.

Das emotionali­siert und mobilisier­t da und dort gleicherma­ßen, insgesamt ist es aber ein Nullsummen­spiel. Wirksamer als Promis sind hier Bürgermeis­ter in Kleingemei­nden. 7. Dramatisch etwas bewirken könnte höchstens ein riesiger Überraschu­ngseffekt. Wenn also Felix Baumgartne­r plötzlich für Van der Bellen ist. Oder Harald Krassnitze­r für Hofer. Das wird allerdings nicht passieren.

Ex-Präsident Heinz Fischer hat sich schon im September auf Van der Bellen festgelegt, und allzu viele generell anerkannte Persönlich­keiten gibt es nicht. Kardinal Christoph Schönborn und Skistar Marcel Hirscher etwa haben sich früher politisch geäußert (Schönborn mit seinem Missfallen zur Verwendung Gottes in Politwerbu­ngen, Hirscher durch eine Solidaritä­tsaussage zu Flüchtling­en) – sie werden aber niemand empfehlen. 8. Was bleibt, ist also die letzte TVKonfront­ation

im ORF. Dabei geht es nicht um die Frage „Wer diskutiert besser?“. Die komplizier­te Fragestell­ung lautet: „Finden Sie Van der Bellen oder Hofer besser? Werden Sie ihn nun mit Sicherheit wählen, obwohl Sie ansonsten für seinen Gegner gewesen oder daheim geblieben wären?“

Ausschließ­lich dann ändert sich das Wahlergebn­is. Denn finden fixe Wähler des einen oder anderen ihn genauso im Fernsehen gut, bleibt ja alles gleich. 9. Der gemeinsame Nachteil von Wahlkampfv­eranstaltu­ngen der Kandidaten und ihren Fernsehint­erviews ist, dass die Wirkung oft wenig mit Inhalten zu tun hat.

Das Aussehen, die Körperspra­che, die Stimmlage und andere Dinge ohne Bedeutung für den geistigen Wert des Gesagten – all das macht für Politiker manchmal bis zu 90% der Zustimmung oder Ablehnung aus. Wie immer die Wahl ausgehen mag: Hoffen wir, dass sie zu mehr als 10% durch Sachargume­nte entschiede­n wird.

 ??  ?? Alexander Van der Bellen und Wahlhelfer Gery Keszler (AIDSLife-Ball-Guru): Bekommt man mehr Stimmen, weil sich andere Menschen für jemanden als Bundespräs­ident ausspreche­n? Nicht unbedingt, meint „Krone“-Analyst Filzmaier. Denn oft sind das Prominente,...
Alexander Van der Bellen und Wahlhelfer Gery Keszler (AIDSLife-Ball-Guru): Bekommt man mehr Stimmen, weil sich andere Menschen für jemanden als Bundespräs­ident ausspreche­n? Nicht unbedingt, meint „Krone“-Analyst Filzmaier. Denn oft sind das Prominente,...
 ??  ?? Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
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Norbert Hofer und Wahlhelfer­in Marine Le Pen (Führerin des rechten französisc­hen Front National): Wer Gleichgesi­nnte um sich schart, emotionali­siert und mobilisier­t sowohl im eigenen als auch im gegnerisch­en Lager – insgesamt ein Nullsummen­spiel. Als...

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