Von Lesern für Leser
Das schiefe Christbäumchen Die besten Geschichten und Gedichte
Schön gerade gewachsen sollte so ein Christbaum sein. Von dunklem Tannengrün, mit harzigem Geruch ausgestattet, um vom Heiligen Abend bis zum Heiligedreikönigstag oder gar bis Maria Lichtmess das Zuhause weihnachtlich zu erleuchten.
Heuer jedenfalls trifft das nicht zu. Die Ursache bildet der neue Familienzuwachs in Form eines jungen Hundes. Ein halbes Jahr alt, ein Schlitzohr, Schlawiner und Strizzi. Einer, der an allem und jedem interessiert ist.
So stellte sich die Frage, wie und ob ein Christbaum in diesem Jahr überhaupt möglich sei . . .
Überlegungen waren ein kleiner Christbaum, der auf ein Tischerl kommt, oder eben ein Bäumchen mit Erde, welches im Frühjahr in den Garten gepflanzt werden könnte.
Die Entscheidung fiel dann schließlich auf einen „lebenden“Christbaum mit Erde, der zusammengebunden gekauft wurde. Die stechenden Nadeln hielten auch nicht vom Kauf ab, sollten sie doch die empfindliche Hundenase sowie auch zwei Katzennasen fernhalten.
Zuhause wurde das Bäumchen dann von seiner Hülle aus Spagat und Folie befreit. Zum Vorschein kam eine krumme, sehr dicht gewachsene Blaufichte.
Diese zu schmücken würde eine Herausforderung sein.
Nach dem ersten Schreck wurde das Bäumchen gegossen – die lehmige Erde war so trocken, dass man glauben könnte, die Fichte sei in der Wüste gewachsen. Langsam gewöhnte ich mich daran, mit diesem Bäumchen Weihnachten zu feiern – aber hätte mir ein Familienmitglied diesen Baum nach Hause gebracht, hätte es vermutlich Tadel gegeben.
Gedanken drängten sich auf – ob das Bäumchen genug Sonnenlicht bekam, wo es wuchs und wer seine Nachbarn waren, bevor es den Weg in den Handel und schließlich zu uns antrat. So wird dieser Christbaum heuer unser Wohnzimmer bereichern mit seiner bescheidenen Schlichtheit und seinem schiefen Wuchs.
Schließlich ist im Leben auch nicht alles perfekt, das Maß sollte nicht nur auf die schönen Dinge gelegt werden. Und wer weiß, vielleicht wächst das Bäumchen dieses Jahr an einem guten Platz an und wird irgendwann zu einem stattlichen Baum, der schief sein darf!