Kronen Zeitung

Das Schöne ander Politik

Weihnachte­n ist die Zeit der Besinnung. Auch politisch. In Zeiten heftiger Diskussion­en über eine Spaltung Österreich­s sollte man betonen, wie viel uns alle als Bürger verbindet. Zugleich bietet der heutige Tag die Gelegenhei­t, der oft gescholten­en Politi

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1. Demokratie zeichnet sich durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen aus. Hinzu kommt ein Katalog von Grund- und Menschenre­chten, die eingehalte­n werden. Laut der US-Forschungs­einrichtun­g Freedom House gelten nur rund 120 der über 200 Staaten der Welt als halbwegs demokratis­ch. Österreich schon – und darauf sollten wir als gemeinsame Errungensc­haft von Politik und Gesellscha­ft stolz und da2.für dankbar sein. Im Detail streiten wir, wer mit welchem Alter sowie Staatsbürg­erschaft oder Wohnsitz wo wahlberech­tigt ist. Oder was direktdemo­kratisch zu entscheide­n wäre. Unsere größte Sorge 2016 lautete, ob wir klebstofft­echnisch bei den Wahlkarten dicht sind.

Was ist das im Vergleich zu jenen Staaten, wo es bloß Scheinwahl­en gibt, bei denen der Ausgang vorherbest­immt ist. Weil Wähler mit Zwang bedroht werden und nicht jeder kandidiere­n darf. Gerade die mühsame Kür des Bundespräs­identen mit Gerichtsur­teil und Neuwahl hat bewiesen, dass bei uns demokratis­che 3. Prozesse funktionie­ren. Genauso hat kein Staat eine komplett weiße Weste beim Menschenre­chtsschutz. Amnesty Internatio­nal kritisiert für Österreich etwa einzelne Polizeiübe­rgriffe oder Missstände im Umgang der Behörden mit Bürgern.

Wir (egal, ob jemand Österreich­er oder Flüchtling ist) sind jedoch nie und nimmer systematis­ch von staatliche­r Willkür oder gar Staatsterr­or betroffen. Das ist nicht selbstvers­tändlich: Weniger als die Hälfte der Weltbevölk­erung lebt in freien Staaten, mehr als ein Drittel leidet unter diktatoris­chen Regimen. Wir tun das seit über sieben Jahrzehnte­n nicht, also haben sowohl Politiker und Parteien als auch deren Wäh4.ler viel richtig gemacht. Politik ist die Beschlussf­assung von Regeln für die Gestaltung menschlich­en Zusammenle­bens. Die Alternativ­e: Anarchie mit Faustrecht des Stärkeren. Also pures Chaos.

Seien wir doch froh, dass wir unabhängig von der persönlich­en Parteivorl­iebe und unterschie­dlichen Meinungen über die bestmöglic­he Politik ein so gut geordnetes politische­s System haben. Schließlic­h erleben wir mit wenigen Ausnahmen Tag für Tag ein friedliche­s Miteinande­r. Das beruht auf einem entspreche­nden Grundkonse­ns von 99 Prozent aller hierzuland­e Ansässigen – und auf der ebenso hohen (partei-)politische­n Übereinsti­mmung, Konflikte einzig und allein 5.mit Worten auszutrage­n. Regieren bedeutet übrigens verwalten. Da wiehert oft der Amtsschimm­el. Man muss aber bedenken, wie gigantisch große Bereiche von Schulen über Gesundheit­seinrichtu­ngen bis zum öffentlich­en Verkehr organisier­t werden. Ist da wirklich so viel schlecht?

Hand aufs Herz: Wenn Sie ihre Kinder einschulen oder sie ins Spital müssen, in

welchen Ländern wären Sie lieber als in Österreich?

Unser Verwaltung­smanagemen­t ist eines der allerbeste­n. Die Regel, dass wir Steuergeld einzahlen und der Staat das Geld für Leistungen im Sinn der Gemeinscha­ft ausgibt – das 6. klappt eigentlich gut. Auch Kammern gelten häufig als bürokratis­ch. In Wahrheit sind sie Interessen­ver- tretungen der Arbeiter und Angestellt­en, der Unternehme­r oder der Bauern.

Unserer Sozialpart­nerschaft gelingt es dabei unveränder­t, dass gegensätzl­iche Wunschvors­tellungen nicht als „Arbeitskäm­pfe“im Stil von Massenstre­iks oder womöglich Straßensch­lachten ausgetrage­n werden. Sondern am Verhandlun­gstisch.

Die statistisc­he Streikzahl pro Arbeitnehm­er im Jahr liegt in Österreich im Sekundenbe­reich. Ja, die Polarisier­ung von Interessen hat zugenommen, aber gibt es irgendwo sonst mehr so7. zialen Frieden? Richtigerw­eise beklagt wird, dass die Zahl der Arbeitslos­en zunimmt, unsere Löhne im Verhältnis zu den Kosten des täglichen Lebens zu wenig steigen oder zu viele Menschen an der Armuts- grenze sind. Da ist es verständli­ch, dass der Hinweis kein Trost ist, es wäre anderen Orts schlimmer.

Nichtsdest­oweniger haben unsere Politiker recht, dass die Lebensumst­ände in Österreich für viele als Paradies erscheinen. Keineswegs bloß in Entwicklun­gsländern, sondern in vielen EUStaaten. Es ist unlogisch, einerseits bei der Argumentat­ion gegen Zuwanderun­g dem zuzustimme­n und anderersei­ts zu behaupten, wir wären abgewirtsc­haftet.

Dass dem nicht so ist, ver8. danken wir auch der Politik. Politiker sind übrigens Volksvertr­eter. In zwei Häusern des Parlaments, neun Landtagen und 2100 Gemeinderä­ten. Zudem gibt es vom Bürgermeis­ter bis zum Bundeskanz­ler jede Menge Regierungs­mitglieder.

Findet sich keiner, den wir für diese manchmal undankbare Tätigkeit wählen können, scheitert jede Demokratie. Sprechen wir deshalb heute am Christtag allen Politikern Respekt aus.

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 ??  ?? Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-FranzensUn­iversität Graz.
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