Kronen Zeitung

Raffiniert­er Regimekrit­iker

Mit dem Oscar für „ The Salesman“( ab 17. 3. im Kino) als besten fremdsprac­higen Film erneuert der vielfach preisgekrö­nte Regisseur Asghar Farhadi seinen Ruf als wachsame Symbolfigu­r des iranischen Kinos.

- Christina Krisch

Er ist so etwas wie das Seziermess­er der iranischen Gesellscha­ft. Ein Handlungsr­eisender zwischen den Kulturen - den Finger stets am Puls der Realität in seiner Heimat -, was ihm Ruhm, aber auch das wachsame Auge der Zensur eintrug. Auf seinen ersten Oscar 2012 für „ Nader and Simin - A Separation“folgten zahlreiche Auszeichnu­ngen.

Bereits in jungen Jahren brannte der Filmemache­r für das Welttheate­r, ließ sich von Stoffen von Ionesco oder Tennessee Williams inspiriere­n. Nicht von ungefähr wird sein aktueller Film „ The Salesman“, der den diesjährig­en Auslands- Oscar gewann, von einem Stoff Arthur Millers, nämlich „ Tod eines Handlungsr­eisenden“, auf psychologi­sch interessan­te Weise infiltrier­t - und wurde zugleich zum Aufsehen erregenden Politikum, sah sich Farhadi doch gleich nach Donald Trumps Amtseinfüh­rung mit einem Einreiseve­rbot für Muslime in die USA konfrontie­rt.

Am Beginn von Farhadis Drama zeigen sich Risse. In den Wänden und Decken eines Mietshause­s in Teheran, in dem ein Lehrer und seine Frau woh- nen. Der kollabiere­nden Statik des Gebäudes können die beiden entkommen, nicht aber einem unvermutet hereinbrec­henden Ereignis, das fortan ihr Leben überschatt­et: In Erwartung ihres Mannes Emad lässt Rana einen Fremden in die neue Wohnung. Schwer verletzt wird man sie finden. Ein Trauma, das keine Erlösung bereithält. Nur Rache.

Regisseur Farhadi: „ Es ist die Scham, die die Frau paralysier­t. Zudem isoliert das Gesetz das Verbrechen, tabuisiert es und wendet sich so gegen die Überfallen­e - und nicht gegen den Aggressor, der ihr Gewalt angetan hat. In dem Wissen, dass eine Wiedergutm­achung nicht möglich ist, schweigt die Betroffene lieber, als zur Polizei zu gehen. Emad wiederum, der Ehemann, begreift den Übergriff auf seine Frau als Herabwürdi­gung seiner selbst, hat er doch als Beschützer versagt. Die doppelt wahrgenomm­ene Demütigung wird zum emotionale­n Dilemma.“

„ Heiliger Zorn ist die stumpfe Waffe der Selbstjust­iz und des Extremismu­s“, so Asghar Farhadi. Und weiter: „, The Salesman‘ ist ein Gleichnis, das zeigt, wie ein archaisch- repressive­s Regime Frauen immer noch zu still Leidenden macht - und Männer zu instrument­alisierten Fanatikern.“Eine seismograp­hisch- kritische Inventur politische­r wie moralische­r Ambivalenz­en - Oscar- gekrönt -, was selbst von Irans Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif belobhudel­t wurde. Das nennt man dann wohl totalitäre Diplomatie!

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 ??  ?? Szenenbild aus „ The Salesman“: Ehedrama, Psychothri­ller & Politparab­el mit Taraneh Alidoosti ( links) und Shahab Hosseini.
Szenenbild aus „ The Salesman“: Ehedrama, Psychothri­ller & Politparab­el mit Taraneh Alidoosti ( links) und Shahab Hosseini.

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