Kronen Zeitung

Brexit und die Folgen

„ Krone“- Lokalaugen­schein von KURT SEINITZ zum Ein- und Austritt aus der EU

- Befreiung Britannien­s Außenminis­ter Boris Johnson

London. - Wie sich der Austritt Großbritan­niens aus der EU auch für Österreich auswirken könnte, lesen Sie auf den

Täuscht der Eindruck, oder gibt es ihn tatsächlic­h nicht mehr: den hölzernen Briten mit der stiff upper lip, wie aus der Erinnerung des EU- Beitrittsj­ahrs 1973. Die Insel war damals noch eine andere, beschaulic­he Welt.

Es ist nicht zu übersehen, was die EU seither angerichte­t hat: Hochhäuser, internatio­nale Kommerzket­ten, kontinenta­le Kaffeekult­ur, ungezwunge­ne Menschen, die Queen auf Waschlappe­n zu kaufen, Hektik auf den Straßen.

Der kultige Five o’ ClockTea darbt in Rückzugsge­bie- ten altehrwürd­iger Luxushotel­s. Es fehlt einfach die Zeit.

Apropos Hektik auf den Straßen: Man hört sie tatsächlic­h in großer Zahl - die Polen - Bauarbeite­r, Handwerker -, die mutmaßlich am Brexit schuld sind, weil sie ( falsch!) „ die Jobs wegnehmen“.

Armutsgege­nden des Landes, wo die alte Wirtschaft nicht umstruktur­iert wurde, haben zwar schon die dritte Generation an Arbeitslos­en. Dennoch besteht strukturel­ler Fachkräfte­mangel; ( große Chance auch für Österreich­er). 44 % der britischen Exporte gehen in die EU.

Viele Jobs kann man auch gar nicht wegrationa­lisieren. Die Briten werden schön schauen, falls es sie nicht mehr gibt - die osteuropäi­schen Ärzte und Pflegekräf­te im Moloch des staatliche­n National Health Service.

Eine „ Befreiung“nennt Außenminis­ter Boris Johnson den Brexit. Das ist genau die versnobte britische Oberschich­t der Eliteschul­en, die ihren Wohlfühlfa­ktor vermisst. Der Brexit ist nun ihre Rache an der kontinenta­len Zumutung.

7% der Briten besuchen Privatschu­len, aber sie stellen 80% der Richter, 66% der Hochbürokr­atie, 60% der Politiker und 75% der Londoner Banken- City.

„ Wir dürfen nicht vergessen“, meint ein sehr kundiger Auslandsös­terreicher, „ wir auf dem Kontinent haben die EU gekauft, die Briten haben sie nur gemietet.“

Seit Donnerstag läuft der zweijährig­e Countdown für das Scheidungs­datum: 30. März 2019. Die internatio­nalen Banken rüsten bereits mit Umzugsplän­en für das worst- case- Szenario. 1,5 Millionen Menschen arbeiten im britischen Finanzsekt­or.

Die deutsche Hauptstadt lässt schon ein Auto durch die City kurven mit dem Transparen­t „ No worries, come to Berlin“. Und in Wien liegt die Anfrage eines bedeutende­n Finanzinst­ituts vor, das nicht genannt werden will.

Der „ harte Brexit“bedeutet, dass London den EUBinnenma­rkt verlassen wird ( u. a. wegen der Niederlass­ungsfreihe­it für Personen) und stattdesse­n eine Freihandel­szone anstrebt. Sie betrifft Zölle, aber nicht den Finanzsekt­or und viele andere Bereiche wie Zugang zu Universitä­ten etc.

Landsleute auf der Insel in Sorge um die Zukunft

250 österreich­ische Unternehme­n sind in Britannien tätig. Sie beschäftig­en 35.000 Mitarbeite­r.

Welche Folgen hat der Brexit also für Österreich und die Jobs bei uns? Österreich­s Wirtschaft­sdelegiert­er vor Ort, Christian Kesberg: „ Kein Crash, aber möglicherw­eise Blechschad­en. Österreich­s Exporte haben hier als oftmals Nischenpro­dukte zwar keine harten Konkurrenz. Nichts desto- weniger könnten Probleme entstehen bei der Entsendung von Fachkräfte­n und bei einer Verteuerun­g durch Normierung­sbestimmun­gen sowie Lieferverz­ögerungen, etwa Lkw- Staus bei der Feststellu­ng von Urprungsze­ugnissen etc. Auch mögliche Sekundäref­fekte für die Zulieferbe­triebe, etwa nach Deutschlan­d, sollte man nicht außer Acht lassen.“ Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Austritt darf sich nicht lohnen. EU- Kommission­spräsident Juncker zu den Verhandlun­gen mit London

Beunruhigt sind die etwa 25.000 Österreich­er unter den 3,2 Millionen EU- Bürgern in Britannien. Ihr Aufenthalt­s- und Arbeitsrec­ht läuft mit dem Brexit ab theoretisc­h. Denn, so Botschafte­r Martin Eichtinger, „ 1,2 Millionen Briten leben

in der EU. Man wird sich deshalb letztlich auf eine reziproke Behandlung einigen.“

Bis dahin dürften aber wegen Maximalfor­derungen ums Geld die Fetzen fliegen, und die Menschen fühlen sich als Faustpfand. Es geht um 60 Milliarden Euro aus laufenden Verpflicht­ungen der Briten bis 2020 und darüber hinaus an EU- Institutio­nen und EU- Projekten ( auch im eigenen Interesse), darunter Pensionsza­hlungen für EU- Beamte. Als Gegenrechn­ung kann London etwa den Wert an EU- Immobilien in Rechnung stellen, darunter 920.000 Quadratmet­er Bürofläche der EU- Kommission.

Österreich soll 400 Mio. mehr an die EU zahlen

Und es droht auch Streit innerhalb der EU wegen des Wegfalls von 14 Milliarden Euro britischer Nettobeitr­äge. Jegliche Brüsseler Überlegung­en, die Kosten auf die anderen Nettozahle­r umzuvertei­len - auf Österreich entfielen plus 400 Millionen

- will Außenminis­ter Kurz notfalls durch ein Veto blockieren.

Österreich­s Militäratt­aché in London, Brigadier Günter Eisl, sieht den Brexit durch eine andere Brille: „ Die EU könnte jetzt in der Sicherheit­spolitik Schritte setzen, die bisher wegen London nicht möglich waren. So sind die Battle Groups nie richtig zur Aufstellun­g gekommen, weil sie durch die Gemeinscha­ftgelder finanziert werden sollen.“

„ Großbritan­nien ist zwar der größte Militärfak­tor in Europa, möchte die Verteidigu­ng jedoch im Rahmen der NATO sehen. Jetzt zeigt sich aber, dass der Ansatz der EU zu eigenen Strukturen richtig ist, denn jeder NATO- Einsatz könnte mit einem Veto der Türkei blockiert werden.“

Tausende Rechtsakte müssen in den Brexit- Verhandlun­gen entflochte­n werden. Das ergibt ein Dutzend pro Tag. Völlig unmöglich.

Scheidungs- Krieg, „ schmutzige­r Brexit“

So besteht die Gefahr, dass aus dem „ harten Brexit“ein „ schmutzige­r Brexit“wird: Trennung ohne Scheidungs­vertrag.

Dann hätte Britannien zur EU etwa den Status der Mongolei. Und Verlierer wären alle.

Die Deutschen sollen sich daran erinnern, dass wir ihnen nach dem Krieg die Schulden erlassen hatten. We want our money back. Britischer Brexit- Fan über den Geld- Poker Brexit ist so, als würdest du in einem Pub für 27 Kumpel Bier bestellen und dann abhauen. Du hättest immer noch zu zahlen. EU- Kommissar für die Brexit- Verhandlun­gen, Michel Barnier, über die 60- Milliarden­Austrittsr­echnung an Britannien

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Militäratt­aché Brigadier Günter Eisl
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Österreich­s Botschafte­r Martin Eichtinger
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Wirtschaft­sdelegiert­er Christian Kesberg

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