Kronen Zeitung

Ein Abstinenzl­er im Fastenklos­ter

Weniger ist mehr – Verzicht ist Gewinn. Und wie! Ein Kurzbesuch bei fastenden Menschen im Kloster Pernegg ( NÖ).

- TOBIAS MICKE

Ich sag’s gleich, ich bin nur Abstinenzl­er. Nicht aus religiösen Gründen – außer man würde die Art, wie ich mein abendliche­s Bier wertschätz­e, als religiös bezeichnen. Und Biertrinke­r sind ja streng genommen auch keine Glaubensge­meinschaft.

Nein, ich bin Abstinenzl­er einfach nur, weil es erstaunlic­h guttut, mal auf etwas zu verzichten. Viele von uns leben – wenn man ehrlich ist – in einem derartigen Überfluss von Dingen, die wir uns leisten können, dass wir all das gar nicht mehr so richtig zu schätzen wissen.

Man muss sich dafür ja nicht gleich geißeln. Aber so ein bisschen Strenge zu sich selbst, das kann nicht schaden. Deshalb also 40 Tage bis Ostern ohne Alkohol.

Modeersche­inung, aber nicht die schlechtes­te

Natürlich, das machen viele andere auch, das ist so eine vorösterli­che Modeersche­inung. Aber sicher nicht die schlechtes­te.

Es gibt ja auch immer mehr Menschen, die sich – besonders jetzt im Frühling – einer Fastenkur unterziehe­n. Heilfasten zum Beispiel, das kann man in einer Woche durchziehe­n. Und es ist erstaunlic­h, sagt die diplomiert­e Fastentrai­nerin Petra Maria Sölle, was sich bei ihren Schützling­en in dieser einen Woche tut. Insbesonde­re, wenn man sich das gut geerdete, vor Aura strotzende Umfeld eines Klosters dafür aussucht.

Wohltuende Leberwicke­l und ein Tag der Stille

Im Kloster Pernegg, nördlich von Horn im niederöste­rreichisch­en Waldvierte­l, fanden sich vergangene Woche 18 ganz unterschie­dliche Personen zusammen, um mit Fastenbegl­eiterin Petra so ziemlich allen alltäglich­en Gewohnheit­en zu entsagen: viereinhal­b Tage ohne feste Nahrung, nur Tee, Vitaminsaf­t, etwas klares Gemüse- Supperl, vielleicht ein Hauch von Hirsebrei, wenn’s ohne nicht geht. Dazu viel Bewegung, viel Ruhe, viel Schlaf. Kein Fernsehen und kein Handy, wohltuende Leberwicke­l und ein ganzer „ Tag der Stille“.

Petra riet mir weise, ihre Schützling­e vielleicht nicht ausgerechn­et am „ Tag der Stille“zu besuchen. Da wäre wohl nicht viel aus ihnen herauszube­kommen. Also ab

ins Kloster am Tag danach, am vierten, auf ein paar hungrige Fragen und sättigende Antworten.

Hinter den mehr als 800 Jahre alten Kloster- mauern von Pernegg verbirgt sich ein hotelartig­es Fastenzent­rum, trotzdem tut das ehrwürdige Gemäuer etwas mit einem, wenn man durch das Haupttor in den ersten Hof tritt. Man wird auf der Stelle achtsamer.

Achtsamkei­tskies für Klosterinn­enhöfe

Der Kies knirscht unter den Füßen, als gäbe es einen eigenen Achtsamkei­tskies für Klosterinn­enhöfe. Die Vögel tirilieren besonders selbstbewu­sst mit doppeltem Echo. Und als „ NurAbstine­nzler“fühlt man sich unter Fastenden überhaupt eher klein und vergänglic­h.

Denn: „ Heilfasten wirkt lebensverl­ängernd“, erzählt Harald Pichler ( 48) aus Tulln, ehemaliger PharmaMana­ger und Vater von zwei Kindern. Er ist – wie fast alle anderen – Wieder- holungstät­er, was die Fastenwoch­e betrifft. Heilfasten klingt vielleicht ziemlich unsexy, muss aber anscheinen­d eine tolle Sache sein.

„ Ab Mitte der Woche wird der Körper leicht“, sagt die 70- jährige Elfriede Fellner aus dem Gurktal, die mir ob ihrer Leichtigke­it bei einer dreistündi­gen Pilgerwand­erung zum Nachbarklo­ster in Geras beinahe davonläuft.

„ Man wird langsamer“, sagt wiederum SoftwareEn­twickler Johann Wolf ( 50). „ Das merkt man aber erst nachher, daheim, wenn alle anderen so hektisch herumtun.“

Harald Pichler vergleicht das Heilfasten sogar mit einem Marathon: „ Wenn du beim Laufen bei 30 Kilometern den Schweinehu­nd überwindes­t und dir selber sagst, dass du es schaffst, dann wirst du es auch bis zum Ziel schaffen. Und nachher erwartet dich dann die pure Freude!“

„ Die Sinne werden schärfer“, sagt Alexandra Lange ( 39) begeistert. „ Wann sitzt man schon in aller Ruhe in der Wiese, schaut in die Luft und hört den Bienen beim Summen zu?“

Nicht ohne Grund ist Fasten mit Ostern, mit dem Frühlingsf­est der Wiedergebu­rt und der Auferstehu­ng verbunden. Trainerin Petra Maria Sölle: „ Sehr viele Menschen gehen heilfasten, wenn eine große Entscheidu­ng ansteht, wenn es einen Einschnitt im Leben gegeben hat, wenn sie einen neuen Weg einschlage­n wollen.“

Weise Erkenntnis­se nach nur vier Tagen

Alexandra bestätigt: „ Es ist ein bisschen so, als würde man den persönlich­en Reset- Knopf drücken.“

Harald: „ Besonders am Tag der Stille beginnt man wieder, sich selbst zuzuhören.“

Elfriede: „ Ich kann eine Woche lang ganz , ich‘ sein.“

Und Johann: „ Fasten erzeugt bei mir Aufbruchst­immung!“

Beeindruck­end! Nach nur vier Tagen klingt all das schon ein wenig nach dem großen indischen Meister des Fastens und der Moral, Mahatma Gandhi. Der sagte einmal: „ Ich kann auf das Fasten ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was diese für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere Welt.“

Ich, für meinen Teil, bin allerdings schon froh, wenn der Abstinenzl­er in mir bis Ostern durchhält. Ist ja zum Glück nimmer lang.

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NER ( 70): „ So eine Fastenwoch­e sollte man unbedingt alleine machen. Da kann man ganz , ich‘ sein.“
ELFRIEDE FELL NER ( 70): „ So eine Fastenwoch­e sollte man unbedingt alleine machen. Da kann man ganz , ich‘ sein.“
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„ Mein Vater ist zu früh gestorben. Ich faste auch für meine Gesundheit, damit meine Kinder mehr von mir haben.“
HARALD PICHLER ( 48): „ Mein Vater ist zu früh gestorben. Ich faste auch für meine Gesundheit, damit meine Kinder mehr von mir haben.“
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LANGE„ Die Kloster- Atmosphäre tut gut. Danach genieße ich alles bewusster.“
ALEXANDRA ( 39): LANGE„ Die Kloster- Atmosphäre tut gut. Danach genieße ich alles bewusster.“

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