Ein Abstinenzler im Fastenkloster
Weniger ist mehr – Verzicht ist Gewinn. Und wie! Ein Kurzbesuch bei fastenden Menschen im Kloster Pernegg ( NÖ).
Ich sag’s gleich, ich bin nur Abstinenzler. Nicht aus religiösen Gründen – außer man würde die Art, wie ich mein abendliches Bier wertschätze, als religiös bezeichnen. Und Biertrinker sind ja streng genommen auch keine Glaubensgemeinschaft.
Nein, ich bin Abstinenzler einfach nur, weil es erstaunlich guttut, mal auf etwas zu verzichten. Viele von uns leben – wenn man ehrlich ist – in einem derartigen Überfluss von Dingen, die wir uns leisten können, dass wir all das gar nicht mehr so richtig zu schätzen wissen.
Man muss sich dafür ja nicht gleich geißeln. Aber so ein bisschen Strenge zu sich selbst, das kann nicht schaden. Deshalb also 40 Tage bis Ostern ohne Alkohol.
Modeerscheinung, aber nicht die schlechteste
Natürlich, das machen viele andere auch, das ist so eine vorösterliche Modeerscheinung. Aber sicher nicht die schlechteste.
Es gibt ja auch immer mehr Menschen, die sich – besonders jetzt im Frühling – einer Fastenkur unterziehen. Heilfasten zum Beispiel, das kann man in einer Woche durchziehen. Und es ist erstaunlich, sagt die diplomierte Fastentrainerin Petra Maria Sölle, was sich bei ihren Schützlingen in dieser einen Woche tut. Insbesondere, wenn man sich das gut geerdete, vor Aura strotzende Umfeld eines Klosters dafür aussucht.
Wohltuende Leberwickel und ein Tag der Stille
Im Kloster Pernegg, nördlich von Horn im niederösterreichischen Waldviertel, fanden sich vergangene Woche 18 ganz unterschiedliche Personen zusammen, um mit Fastenbegleiterin Petra so ziemlich allen alltäglichen Gewohnheiten zu entsagen: viereinhalb Tage ohne feste Nahrung, nur Tee, Vitaminsaft, etwas klares Gemüse- Supperl, vielleicht ein Hauch von Hirsebrei, wenn’s ohne nicht geht. Dazu viel Bewegung, viel Ruhe, viel Schlaf. Kein Fernsehen und kein Handy, wohltuende Leberwickel und ein ganzer „ Tag der Stille“.
Petra riet mir weise, ihre Schützlinge vielleicht nicht ausgerechnet am „ Tag der Stille“zu besuchen. Da wäre wohl nicht viel aus ihnen herauszubekommen. Also ab
ins Kloster am Tag danach, am vierten, auf ein paar hungrige Fragen und sättigende Antworten.
Hinter den mehr als 800 Jahre alten Kloster- mauern von Pernegg verbirgt sich ein hotelartiges Fastenzentrum, trotzdem tut das ehrwürdige Gemäuer etwas mit einem, wenn man durch das Haupttor in den ersten Hof tritt. Man wird auf der Stelle achtsamer.
Achtsamkeitskies für Klosterinnenhöfe
Der Kies knirscht unter den Füßen, als gäbe es einen eigenen Achtsamkeitskies für Klosterinnenhöfe. Die Vögel tirilieren besonders selbstbewusst mit doppeltem Echo. Und als „ NurAbstinenzler“fühlt man sich unter Fastenden überhaupt eher klein und vergänglich.
Denn: „ Heilfasten wirkt lebensverlängernd“, erzählt Harald Pichler ( 48) aus Tulln, ehemaliger PharmaManager und Vater von zwei Kindern. Er ist – wie fast alle anderen – Wieder- holungstäter, was die Fastenwoche betrifft. Heilfasten klingt vielleicht ziemlich unsexy, muss aber anscheinend eine tolle Sache sein.
„ Ab Mitte der Woche wird der Körper leicht“, sagt die 70- jährige Elfriede Fellner aus dem Gurktal, die mir ob ihrer Leichtigkeit bei einer dreistündigen Pilgerwanderung zum Nachbarkloster in Geras beinahe davonläuft.
„ Man wird langsamer“, sagt wiederum SoftwareEntwickler Johann Wolf ( 50). „ Das merkt man aber erst nachher, daheim, wenn alle anderen so hektisch herumtun.“
Harald Pichler vergleicht das Heilfasten sogar mit einem Marathon: „ Wenn du beim Laufen bei 30 Kilometern den Schweinehund überwindest und dir selber sagst, dass du es schaffst, dann wirst du es auch bis zum Ziel schaffen. Und nachher erwartet dich dann die pure Freude!“
„ Die Sinne werden schärfer“, sagt Alexandra Lange ( 39) begeistert. „ Wann sitzt man schon in aller Ruhe in der Wiese, schaut in die Luft und hört den Bienen beim Summen zu?“
Nicht ohne Grund ist Fasten mit Ostern, mit dem Frühlingsfest der Wiedergeburt und der Auferstehung verbunden. Trainerin Petra Maria Sölle: „ Sehr viele Menschen gehen heilfasten, wenn eine große Entscheidung ansteht, wenn es einen Einschnitt im Leben gegeben hat, wenn sie einen neuen Weg einschlagen wollen.“
Weise Erkenntnisse nach nur vier Tagen
Alexandra bestätigt: „ Es ist ein bisschen so, als würde man den persönlichen Reset- Knopf drücken.“
Harald: „ Besonders am Tag der Stille beginnt man wieder, sich selbst zuzuhören.“
Elfriede: „ Ich kann eine Woche lang ganz , ich‘ sein.“
Und Johann: „ Fasten erzeugt bei mir Aufbruchstimmung!“
Beeindruckend! Nach nur vier Tagen klingt all das schon ein wenig nach dem großen indischen Meister des Fastens und der Moral, Mahatma Gandhi. Der sagte einmal: „ Ich kann auf das Fasten ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was diese für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere Welt.“
Ich, für meinen Teil, bin allerdings schon froh, wenn der Abstinenzler in mir bis Ostern durchhält. Ist ja zum Glück nimmer lang.