Kronen Zeitung

Haben wir Trump unterschät­zt, Herr Diekmann?

Das Interview mit Donald Trump war sein großer Coup: Kai Diekmann, lange Chef der „ Bild“- Zeitung, über Sound, Code und die Launen des US- Präsidente­n

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Ü ber dem Traunsee geht gerade die Sonne unter, als Kai Diekmann, in Jeans, hellblauem Hemd und dunkelblau­em Sakko, am Bootssteg des gleichnami­gen Seehotels erscheint. Mit seinem iPhone schießt er mehr Fotos als der „ Krone“- Fotograf, anschließe­nd teilt er die Österreich- Werbung mit seinen 161.000 Followern auf Twitter. Der 52- Jährige ist zum Symposium der „ Academia Superior“nach Österreich gekommen.

Herr Diekmann, verraten Sie uns, wie Sie es als erster – und bislang einziger – deutschspr­achiger Journalist geschafft haben, Donald Trump für ein Interview zu gewinnen?

Man muss sich bemühen. Egal, ob es um Donald Trump, den Papst oder Wladimir Putin geht: Journalist­en erschließe­n sich Zugang über alle möglichen Kanäle. Ich habe mich schon vor über einem Jahr für Donald Trump interessie­rt. Man muss hartnäckig bleiben. Immer nach den Sternen greifen! Häufig ist es vergebens, aber irgendwann hat man dann Glück. An meinem ersten und einzigen Interview mit George W. Bush habe ich fast sechs Jahre gearbeitet.

„ Verstörend ehrlich, verstörend anders“. So hat „ Bild“damals Ihr Interview beworben. Was war Ihr Eindruck vom amerikanis­chen Präsidente­n, und hat sich dieser Eindruck nach drei Monaten Amtszeit bestätigt?

In den USA werden Interviews gedruckt, wie sie gegeben werden. Das ist für uns sehr ungewöhnli­ch. Diese Tatsache haben wir genutzt und haben den Präsidente­n so getreu im Wortlaut dokumentie­rt wie irgendwie möglich – auch Stellen, die nicht glatt oder stimmig waren. So bekamen die Leser einen Einblick in seine Art zu denken. Diese Ausführlic­hkeit gab dem Interview diesen besonderen Sound. Dazu kommt, dass Trump eben kein Politiker ist und deshalb den Code der Politikers­prache nicht draufhat. Er denkt und spricht wie ein Unternehme­r. Die NATO beispielsw­eise hat er obsolet genannt, was verstörend ehrlich war. Da gab es über Wochen einen Aufschrei. Zu Recht? Nein. Denn was Trump sagt, ist ja bei genauerer Betrachtun­g nicht nur unwahr. Der Warschauer Pakt hat sich 1991 aufgelöst, in der NATO ist nichts passiert, die ist bis heute bestehen geblieben in ihren Strukturen. Trump hat auch gesagt, dass er mit dem Austritt weiterer Mitgliedss­taaten aus der EU rechnet. Auch hier gab es einen Aufschrei. Aber Tatsache ist: Wenn Marine Le Pen die Wahl in Frankreich gewinnt, dann gibt es ein Referendum, und dann ist möglicherw­eise nicht nur ein Austritt von Frankreich zu befürchten, sondern überhaupt das Ende der EU. Trump spricht Dinge aus, die Politiker normalerwe­ise nur hinter vorgehalte­ner Hand in der Politik ausspreche­n, und das macht ihn so verstörend.

Ist er ein Glücksfall für einen Journalist­en?

Ganz ehrlich: Ja. Ich dachte immer, die Interviews mit Wladimir Putin sind ungewöhnli­ch, aber das Interview mit Donald

Es nützt nichts zu sagen: Trump ist ein dummer Kerl. Er ist Präsident, und wir sind danebengel­egen. Er spricht Dinge aus, die normal hinter vorgehalte­ner Hand gesagt werden. Das macht ihn so verstörend.

Trump hat es bei Weitem übertroffe­n. Mir war in der Sekunde klar, dass es Schlagzeil­en machen wird. Nun sagen Politiker ja oft irgendetwa­s Brisantes, aber anschließe­nd wollen sie es aus dem Interview herausstre­ichen. Bei Trump war klar: Er wird das nicht tun.

Mauer zu Mexiko, Einreiseve­rbot für Muslime und zuletzt der Raketenang­riff auf Syrien: Haben wir Trump unterschät­zt?

Zunächst bin ich davon ausgegange­n, auf jemanden zu treffen, der gegenüber Journalist­en aggressiv ist. Ich hatte einen nervösen, schlecht gelaunten Donald Trump erwartet. Das Gegenteil war der Fall. Ich traf einen völlig tiefentspa­nnten Donald Trump. Da war auch kein Stab dabei, und er hat sich alle Zeit der Welt genommen. Und ich denke, Trump hat bereits gelernt. Für diese Aussage bin ich kritisiert worden. Ich finde tatsächlic­h, dass man eine Lernkurve erkennen kann. Bei vielen Positionen in der Außenpolit­ik hat das State Department in weiten Teilen die Regie übernommen. Trump äußert sich heute viel differenzi­erter – zu China, zu Russland und den Sanktionen etwa. Auch seine Äußerungen zur EU klingen heute anders. Trotzdem macht er etwas, was für Politiker eher ungewöhnli­ch ist: Er nimmt das, was er während des Wahlkampfs versproche­n hat, auch in Angriff.

Könnte es sein, dass Sie ein Trump- Fan sind?

Ich bin überhaupt gar kein Fan. Ich bin auch kein Trump- Versteher. Ich finde nur, wir müssen uns einen differenzi­erten Blick leisten. Es nützt nichts zu sagen: Trump ist ein dummer Kerl, er liest zu wenig Akten und Bücher. Er ist Präsident, und wir sind mit unseren Vorhersage­n furchtbar danebengel­egen. Auch was den Brexit angeht. Und wenn Sie mich heute fragen, ob Marine Le Pen die Wahl in Frankreich gewinnt, dann sage ich: Nach menschlich­em Ermessen nicht. Aber nach menschlich­em Ermessen bin ich bei der US- Wahl auch dramatisch danebengel­egen. Wir Journalist­en sind in einer großen Glaubwürdi­gkeitskris­e, also stünde es uns gut an, einen etwas differenzi­erteren Blick auf das Geschehen zu werfen.

War das Ihr letzter Coup für „ Bild“, oder kommt da noch was?

Das war die Abschlussa­rbeit, das Abschiedsg­eschenk. Es wird aber weitere journalist­ische Projekte für „ Bild“geben.

Seit Ihrem Abgang Ende 2016 rätselt die Branche, wo Sie in Zukunft tätig sein werden. Verraten Sie es?

Nein, die Branche wird weiter rätseln müssen. Aber keine Sorge, ich habe genug zu tun. Ich bin im Board von „ Hürryiet“, der größten türkischen Zeitung, und im Board der „ London Times“. Das sind Mandate, die mir sehr viel Spaß machen. Darüber hinaus mache ich aber auch noch das eine oder andere journalist­ische Projekt.

Als kleiner Junge in Bielefeld: Haben Sie sich Ihr Leben eigentlich so vorgestell­t oder von etwas ganz anderem geträumt?

Ich wollte eigentlich immer Tierarzt werden. Privat habe ich mir diesen Traum in gewisser Weise erfüllt. Meine Frau und unsere vier Kinder haben jede Menge Geraffel zuhause. Zwei Katzen, Hühner, Ziegen, zigtausend Bienen. Beruflich hatte ich aber dann nur mehr mit hohen Tieren zu tun. – Lacht.

 ??  ?? „ Wie ein Fisch im Wasser“fühlt sich Kai Diekmann in Österreich – hier im Gespräch mit der „ Krone“am Traunsee. Die Deutschen und die Österreich­er trenne schließlic­h nur die gemeinsame Sprache…
„ Wie ein Fisch im Wasser“fühlt sich Kai Diekmann in Österreich – hier im Gespräch mit der „ Krone“am Traunsee. Die Deutschen und die Österreich­er trenne schließlic­h nur die gemeinsame Sprache…
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