Kronen Zeitung

Ist Politik nur noch Show, Herr Bundeskanz­ler?

Der Kanzler als Pizzabote: Die Klicks auf dieses Video bewegen sich auf eine Million zu. SPÖ- Chef Christian Kern über Inhalte, Image und Inszenieru­ng.

- BITTE BLÄTTERN SIE UM

Bundeskanz­leramt, Büro Mag. Christian Kern: Der Kanzler sitzt noch am Laptop und beantworte­t Mails, als wir am Freitag vor seiner Israel- Reise zum Interview erscheinen. Herzliche Begrüßung. „ Wir haben 45 Minuten Zeit, wird das reichen?“, fragt Christian Kern und bittet uns an den langen weißen Tisch vor dem großen goldenen Spiegel. Er habe nach unserem Termin noch ein Treffen, auf das er sich sehr freue, erzählt er. „ Eine Mitarbeite­rin, die vor 43 Jahren hier im Haus als Lehrmädche­n angefangen hat, geht in Pension und hat sich zum Abschied ein Treffen mit mir gewünscht. Und ein paar Fotos.“Christian Kern ist ihr siebenter Kanzler, aber der erste, der Pizza ausgeliefe­rt hat. Im „ Krone“Interview lässt der SPÖ-

Hinter dem Video steht eine politische Botschaft. Und zwar: Die SPÖ kämpft für die Mittelschi­cht.

Chef eine sehr bewegende Woche – auch selbstkrit­isch – Revue passieren.

Herr Bundeskanz­ler, mehr als 850.000- mal – Stand Samstagmit­tag – wurde das Pizza- Video auf Facebook angeklickt. Zufrieden?

Ja, schon. Es zeigt doch ein gewisses Interesse, das mich freut. Offenbar wird diese unkonventi­onelle Form, über politische Themen zu kommunizie­ren, auch geschätzt.

Die Reaktionen reichen von genial bis peinlich. Ist Politik nur noch Show? Nein, weil dahinter ja eine Botschaft steht. Und zwar: Die SPÖ kämpft für die Mittelschi­cht. Das Video ist nur die Trägerrake­te für die politische­n Inhalte, der Auftakt einer Kampagne. Als Pizza- bote komme ich mit Leuten ins Gespräch, die ich nicht kenne. Ich zeige mit diesem Bild: Der Kanzler hört euch zu. Ihr habt einen Ansprechpa­rtner. Schickt uns die Themen, die euch bewegen. Das Problem der Politik ist ja, dass sie meist eine Sprache pflegt, die bei den Leuten nicht ankommt. Deshalb sind solche Bilder wichtig.

Perfekt inszeniert, aber haben diese Bilder etwas mit dem echten Leben zu tun? Da hätte Sie vielleicht auch wer rausgeschm­issen, oder Sie wären unerkannt geblieben.

Also rausgeschm­issen hat mich keiner, aber es war zum Beispiel ein Polizist dabei, der sich zwar sehr gefreut und fünf Selfies gemacht hat, der aber nicht wollte, dass das an die Öffentlich­keit kommt. Das muss man respektier­en. Es haben mich auch nicht alle erkannt. Eine Truppe von jungen Deutschen, die gerade ihre neue Wohnung eingericht­et hat, war sehr irri-

Privat bestelle ich öfter Pizza, als mir lieb ist. Und dann plaudere ich auch mit den Pizzaboten.

tiert, warum der Bote jetzt plötzlich die Pizza mit ihnen verzehren will. – Lacht. – Wir werden deshalb ein „ Making Of“machen, weil es so viele Fragen gibt, wie das wirklich abgelaufen ist.

Angeblich waren Sie mit dem Dienstwage­n unterwegs?

Die Pizza wurde zu der Türe geliefert, dort habe ich sie übernommen und ausgetrage­n. Das ist korrekt.

Ehrlichkei­t ist ja in der Politik ein wichtiger Wert. Ist es glaubwürdi­g, dass der Bundeskanz­ler Pizzabote spielt und so die Nähe zum Volk sucht?

Na ja, es ist eine Symbolisie­rung. Der Versuch, zu zeigen: Wir gehen zu den Leuten, wir reden mit ihnen, und ich muss sagen, dass mir diese dreieinhal­b Stunden großen Spaß gemacht ha- ben. Es war ein wirklich unterhalts­amer Abend. Am Ende ist ja jedem klar, dass ich der Bundeskanz­ler bin und nicht der Pizzaservi­ce.

Hand aufs Herz: Wissen Sie, wie es einem Pizzaboten geht?

Ich bin auch privat Kunde vom Pizzaservi­ce. Tagsüber komme ich nicht zum Essen, und wenn ich dann um 22 Uhr nach Hause komme und der Kühlschran­k leer ist, bestelle ich etwas. Und zwar öfter, als mir lieb ist. Pizza Margherita ist fast ein Grundnahru­ngsmittel. Und dann plaudere ich auch öfter mit den Boten. Die sind zum Teil nicht einmal angestellt, kämpfen auf eigene Rechnung, hängen von den Aufträgen ab, ich schätze mal die verdienen brutto 6 bis 7 Euro, wenn man die Arbeitszei­t hochrechne­t. Gerade bei schlechtem Wetter ist das alles andere als lustig. Prekäre Arbeitsver­hältnisse sind ein großes Problem.

Sie haben die Mittelschi­cht erwähnt, die Sie ansprechen wollen. Ist das nicht ein Affront gegenüber der ÖVP? Sie kämpft auch um den Mittelstan­d.

Sie meint damit die Wirtschaft­streibende­n. Wenn wir von Mittelschi­cht reden, dann sind das zum Beispiel Frauen und Männer, die jeden Tag in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen, die mit ihrer Leistung die Wirtschaft unseres Landes tragen, und unsere Pensionist­en und Lehrlinge. Vor diesem Hintergrun­d sehe ich es nicht als Affront.

Sie betonen immer, dass all das kein Wahlkampf sei. Was ist es dann?

Es ist wichtig, dass wir unsere Politik erklären, und meine Erfahrung ist, dass wir wahnsinnig schwer eine Öffentlich­keit dafür finden. Bei uns werden immer die negativen Dinge zugespitzt. Wer kann mit wem nicht? Wem gefällt wessen Nase nicht? Mein Versuch war es, gerade mit der Pizza- Kampagne – und deshalb auch der Paukenschl­ag zu Beginn – die Aufmerksam­keit auf die wirklich wichtigen Zukunftsfr­agen zu wenden.

 ??  ?? Pizzakanzl­er Kern: Der Startschus­s zur SPÖKampagn­e „ Was bewegt dich“ging auf Facebook hoch wie eine Rakete.
Pizzakanzl­er Kern: Der Startschus­s zur SPÖKampagn­e „ Was bewegt dich“ging auf Facebook hoch wie eine Rakete.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria