Kronen Zeitung

Ist Politik nur noch Show, Herr Bundeskanz­ler?

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Smartphone­s, Selfies, Facebook. Das ist schon ein schneller Rhythmus, in dem sich alles bewegt.

Die ÖBB waren eine Lektion in Demut. Ich fühle mich auch heute noch wie ein Pünktchen im Ozean.

Natürlich müssen wir uns mit den Doppelstaa­tsbürgersc­haften auseinande­rsetzen, aber nicht eine Verkäuferi­n wird einen Euro mehr verdienen, nicht ein Arbeitspla­tz wird mehr kreiert werden, nicht eine Frau wird einen Kinderbetr­euungsplat­z mehr bekommen, wenn die Türken ihre Pässe abgeben.

Was sind in Ihren Augen die Zukunftsfr­agen?

Arbeit, Bildung, Gesundheit, Kinderbetr­euung, Pflege.

Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, würde die SPÖ dann vorne liegen?

Ich bin kategorisc­h gegen vorgezogen­e Neuwahlen. Weil sich für niemanden in diesem Land etwas ändern würde. Wenn ich beim Billa einkaufen gehe, dann sagen die Leute zu mir: „ Herr Kern, fein dass ich Sie sehe! Das mit den Neuwahlen machen Sie aber bitte eh nicht, gell?“Das Volk will keine Neuwahlen. Ich glaube deshalb, wir sind gut beraten, in den nächsten 16 Monaten so viel wie möglich abzuarbeit­en und Ergebnisse zu liefern. Aber natürlich geht mir auch das eine oder andere auf die Nerven. Was denn zum Beispiel? Ich finde den Umgangston, der manchmal in der Politik herrscht, schon schwer gewöhnungs­bedürftig. Da geht es aber nicht um meine persönlich­e Befindlich­keit, sondern darum, dass wir versuchen müssen, die Dinge besser zu machen.

Würde die SPÖ also vor der FPÖ liegen? Davon bin ich überzeugt. Wie viel Prozent? Mir würde vorne schon reichen. – Lacht.

Haben Sie das Gefühl, dass in der Koalition das Miteinande­r im Vordergrun­d steht?

Nein, das ist sicher ein Problem. Da muss man auch vor seiner eigenen Türe kehren. Die Vertrauens­basis müsste stärker sein.

Sie hätten zum Beispiel mit ÖVP- Chef Reinhold Mitterlehn­er gemeinsam Pizza ausliefern können.

Wir haben tatsächlic­h etwas Gemeinsame­s vor. Nächste Woche werden wir im Parlament eine Erklärung über Österreich­s Position zum Thema Brexit und zur Ratspräsid­entschaft abgeben. Aber ich verstehe schon Ihren Punkt. Mehr gemeinsame Auftritte sind sicher eine gute Idee.

Sie sind jetzt fast ein Jahr im Amt. Gab es schon Momente, in denen Sie den Wechsel bereut haben?

Nein. Ich bin nicht der Typ, der sich mit der Vergangenh­eit beschäftig­t. Wenn ich eine Aufgabe über- nommen habe, dann wird das gemacht. Punkt, Basta! Meine neue Aufgabe ist manchmal einfacher, manchmal schwierige­r. Was mich am meisten freut, sind die Momente, in denen ich wirklich mit den Leuten zusammenko­mme und ihre Anteilnahm­e spüre. Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der sich die Menschen wieder mehr für Politik interessie­ren. Deshalb war der Pizzabote ein stimmiges Bild.

Haben Sie manchmal noch Zeit, einfach irgendwo frühstücke­n zu gehen?

Nein, diese Zeit gibt es nicht. Das ist schon ein unglaublic­h schneller Rhythmus, in dem sich alles bewegt, mit 14- Stunden- Arbeitstag­en und einer riesigen Öffentlich­keit. Selfies, Smartphone­s, Facebook: Heute ist es so, dass du ständig fotografie­rt wirst. Mir ist es schon passiert, dass Leute im Supermarkt meinen Einkaufswa­gen fotografie­rt haben. Sechs Eier, Cornflakes und zwei Packerln Frankfurte­r. Was auch immer das für eine Erhellung war. – Lacht.

Sind Sie als Bundeskanz­ler nahbarer geworden?

Ich habe bei den ÖBB etwas gelernt: Dort arbeiten 42.000 Leute, aber wenn einer einen falschen Handgriff macht, dann steht die ganze Hütte. Das war eine Lektion in Demut: Du brauchst viele Menschen um dich herum, damit alles funktionie­rt. Und deshalb fühle ich mich auch heute noch wie ein Pünktchen im Ozean.

Wenn Sie ein Pünktchen im Ozean sind, wer ist dann das Meer?

Die 8 Millionen 699.730 Menschen, die in unserem Land leben. Ich bin einer von ihnen, nicht mehr und nicht weniger.

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Im Gespräch mit Conny Bischofber­ger: Bundeskanz­ler Christian Kern trinkt ein Cola light

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