Kronen Zeitung

„ Ich habe miteinem Mythos gelebt“

Ihren Vater, Zwangsarbe­iter während des Krieges, hat Rosa Holzer ( 71) nie gefunden. Aber eine Schwester in Kanada! Lesen Sie das Protokoll einer späten Begegnung.

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Ein Kind der Schande. Ein grausamer Satz. Wie kann ein Kind – ein wehrloses Kind! – das Ansehen seiner Mutter schädigen?

Ein Kind der Schande. So hat man früher auf dem Land die uneheliche­n Kinder genannt. Meine Mutter hat noch eins draufgeset­zt: Sie war unverheira­tet und wurde schwanger von einem Zwangsarbe­iter aus der Ukraine. Ein Skandal in Zeiten des Krieges! Das war auch der Grund, warum sich meine Mutter, solange sie lebte, über meinen Vater ausgeschwi­egen hat.

Als ich acht Monate nach Ende des Zweiten Weltkriege­s geboren wurde, war Wasyl Wynarchuk bereits in Kanada. Er musste fliehen. Wäre er geblieben, hätte man ihn zum Tode verurteilt. Das war damals üblich, wenn sich Zwangsarbe­iter mit Österreich­erinnen eingelasse­n haben.

Ich war zwölf Jahre alt, als ich das erste Mal nach ihm fragte. Warum nicht früher? Meine Mutter und ich wohnten auf dem Hof meines Onkels, der im Krieg gefallen war. Wir lebten dort mit meiner Tante und meinem Cousin. Zwei Frauen, zwei Kinder, ein toter Mann. Das war meine kindliche Interpreta­tion von unserer Familie. Dass aber der Bruder meiner Mutter nicht zu-

gleich mein Vater sein konnte, darauf bin ich erst in der Schule gekommen. Und zwar, als wir einen Lebenslauf verfassen mussten und ich unsere Verwandtsc­haftsbezie­hung genauer unter die Lupe genommen habe.

Wasyl Wynarchuk: Das war sein Name

„ Wer ist mein Vater?“, habe ich nach dieser Erkenntnis meine Mutter gefragt. Ihren Blick spüre ich heute noch. Wie ein Pfeil traf er mich. Ich hatte gewagt, die Büchse der Pandora zu öffnen, ein Tabuthema angesproch­en. Mit zugekniffe­nen Lippen und fester Stimme antwortete sie mir: „ Wasyl Wynarchuk.“Später hat sie mir den Namen auf einen Zettel geschriebe­n.

Danach haben wir nie wieder über die Sache gesprochen. Das heißt nicht, dass sie für mich erledigt war. Die Sehnsucht nach einem Vater hat mich mein ganzes Leben begleitet. Ich habe mit einem Mythos gelebt. Dass mein Ehemann Leopold 13 Jahre älter ist als ich, ist sicher auch kein Zufall. Stichwort Vaterersat­z. Leopold war es auch, der mich darin bestärkt hat, nach Wasyl Wynarchuk zu suchen. Wir haben Suchdienst­e angeschrie­ben und einen Ahnenforsc­her kontaktier­t. Ohne Erfolg. Erst fünfzig Jahre später wurde mein Sohn Helmut fündig. 2012 ist er auf „ Google Kanada“auf eine Seite gestoßen. Dort waren eingewande­rte Ukrainer aufgeliste­t, die verstorben sind. Einer davon war mein Vater…

Erwähnt waren auch die Hinterblie­benen. So habe ich herausgefu­nden, dass ich eine Halbschwes­ter habe: Margaret. Helmut hat den Kontakt via Facebook hergestell­t. Margaret hatte keine Ahnung, dass ihr Vater – also unser Vater – noch eine Tochter in Österreich gehabt hat.

Vor zehn Tagen ist sie ins Flugzeug gestiegen, um mich kennenzule­rnen. Am Bahnhof in Linz haben wir uns dann zum ersten Mal in die Arme geschlosse­n. Sie spricht nur Englisch, ich nur Deutsch. Das ist eine Herausford­erung. Aber auch ohne Worte – ich spüre eine tiefe Verbindung zu Margaret. Sie ist für mich wie das letzte Stück eines Puzzles, meines Lebens- Puzzles. Sie hat es komplettge­macht.

Ein Kind der Schande? Dass sogar im Krieg geliebt, gezeugt, geboren wurde, ist viel eher eine Huldigung ans Leben. Dafür bin ich dankbar.

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Margaret hatte ein altes Foto des Vaters im Gepäck. Diese alten Briefe fand Rosa nach dem Tod der Mutter.
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Neue Familienba­nde dank Sohn Helmut. Er hatte im Internet seine Tante aus Kanada aufgespürt.
Rosa ( re.) und ihre Halbschwes­ter Margaret ( 64) in ihrem Garten in Schiedlber­g ( OÖ). Neue Familienba­nde dank Sohn Helmut. Er hatte im Internet seine Tante aus Kanada aufgespürt.
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Interview mit Redakteuri­n Brigitte Quint.

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