Wo man die Stille hört Ein Rosenkranz vom verstorbenen Prinzen „ Ich bin ganz bei jedem Käfer und jeder Blume“
Wir reisen durch das Land und stellen die schönsten Plätze Österreichs vor. Heute: Gabi und der südsteirische Soboth- Stausee
Gleich neben der Tankstelle von Eibiswald, am Kreisverkehr, wo sich die B 69 für zwei Kilometer mit der Radlpass- Straße nach Slowenien verzwirbelt, liegt Gabis Treffpunkt. Gabi Theisl- Presnitz hat das Lokal seit mehr als 20 Jahren gepachtet und ist als gute Barfrau – neben Mundschenk und Schinkenkäsetoast- Köchin – auch ein bisschen Psychotherapeutin.
Die Lkw- Fahrer vom Haider- Steinbruch machen bei ihr Station, Reisende, die nebst Auftanken fürs Auto einen Kaffee für sich selbst brauchen, und Einheimische, die sich in Gabis Treff aus irgendwelchen Gründen wohler fühlen, als daheim.
Das ergibt von früh bis ganz spät eine recht bunte Mischung. Und Gabi kennt – wie jede emsige Friseurin und jede tüchtige Nagel- designerin – eine ganze Menge Lebensgeschichten.
„ Oft hab ich dann keinen Platz mehr in meinem Kopf“, sagt Gabi. „ Und dann brauch ich Zeit für mich allein.“
Motorradfahrer wie Hornissen auf Hochzeit
Dann setzt sich die 57 Jahre alte siebenfache Großmutter ins Auto und fährt 20 Minuten hinauf in die Soboth zum Stausee.
An Wochenenden sausen dabei die Motorradfahrer auf der kurvigen Straße vorbei wie Hornissen- Männchen auf Hochzeitsflug. Und entsprechend viel ist oben in der „ See- Rast“und bei „ Charlys Hütte“los: „ Da muss ich nicht hier sein.“Deshalb teilt sie sich die Freizeit mit ihren Kolleginnen unter der Woche ein.
Dann hat Gabi den Soboth- Stausee, der das Speicherkraftwerk Koralpe mit Wasser versorgt, fast für sich. „ Ich tanke auf, ganz ohne Musik und ohne Buch. Dann können sie mich nachher unten wieder vollquatschen“, sagt sie augenzwinkernd.
Mehr als 700 Höhenmeter schraubt sich die SobothPass- Straße von Eibiswald bis zum See in die Höhe. „ Wenn’s unten im Ort im Sommer 35 Grad hat, sind’s oben am Stausee nur 25“, schwärmt Gabi.
Den See gibt es erst seit rund 25 Jahren, zuvor klaffte hier eine bewaldete Schlucht, gut 80 Meter tief. Aber der See sieht heute mit seinen kleinen Buchten und dem umgrenzenden dichten Fichtenwald so malerisch aus, als wäre er immer schon hier gewesen.
Versteckte Glasfabrik mit Schule und Brauerei
Gabi ist oft hier. „ Ich seh jeden Baum, den der Förster fällt“, sagt sie. „ Und ich liebe es, wenn früh am Morgen der Draunebel durch die Wipfel wandert.“
Am hinteren Ende des Sees versteckt die Soboth eines ihrer Geheimnisse. Dort steht das St.-Vinzenz- Kirchlein. Keine kleine Kapelle, die fromme Menschen an ei-
nem idyllischen Kraftplatz errichtet haben, sondern ein Gotteshaus, in dem eine recht stattliche Anzahl von Gläubigen Platz hat.
Man fragt sich, warum hier? Und bekommt nach einigem Suchen eine recht erstaunliche Antwort: Zwischen 1757 und 1858 befand sich hier in der Einschicht eine Glasfabrik, die dem Vernehmen nach hochwertige Spiegel bis ins französische Prunkschloss Versailles und ins russische St. Petersburg lieferte.
Entsprechend viele Menschen lebten im dem Dorf St. Vinzenz. Es gab Fabrikations- und Wohngebäude, Ställe für die Ochsen, Wagenschuppen, eine Schule, eine Molkerei und sogar eine Brauerei und eine Transporteisenbahn.
Pottasche ( aus Holz) sowie Branntkalk und Quarz für die Glaserzeugung wurden in der Umgebung ge- wonnen. Heute steht hier neben dem Kirchlein noch das Forstverwalter- Haus des Prinzen von Croy, dem der Wald gehört.
Die gut vernetzte Gabi kennt neben sämtlichen einheimischen Anglern ( wie den Franzi) und Holzknechten ( wie den Hannes) natürlich auch den Prinzen. Insbesondere dessen Vater Clemens, der vor drei Jahren verstorben ist.
„ Ein Freund“, sagt sie traurig. „ Ich hab im Auto einen Rosenkranz hängen, den er mir geschenkt hat.“
Auf dem Rückweg zum Parkplatz kommen wir an „ Charlys Hütte“vorbei, von der man einen malerischen Blick auf den See hat.
Es ist Vormittag, unter der Woche, Charly hat trotzdem offen und begrüßt Gabi wie man Familie begrüßt.
An den Wänden hängen zahlreiche Fotos von den Fisch- Trophäen seiner Gäste. Riesige Forellen und Hechte. Wichtige Beweismittel für die Stammtischge- spräche. Denn die Fische kommen großteils wieder zurück in den See.
Dann noch einmal zu Gabis Lieblingsbankl an der Ostseite des Sees. Seit sie vor ein paar Jahren wegen des aufreibenden Lokal- Lebenswandels in Eibiswald fast keine Luft mehr bekam, hat Gabi hier oben ihr kleines Paradies gefunden.
„ Nur wenn man mal Atemnot erlebt hat“, sagt sie, „ weiß man, wie wunderbar es ist, wieder richtig Luft holen zu können.“
„ Wenn ich hier oben am See sitz, grüble ich nicht. Dann bin ich ganz bei dem, was ich sehe und höre. Bei jedem Vogel, bei jedem Käfer und jeder Blume. Hier kann ich die Stille hören. Und ein bisschen was davon, wie wunderbar, aber auch wie verletzlich die Natur ist, versuche ich an meine Gäste an der Bar weiterzugeben.“