Provokationen & Tabubrüche
Zu Egon Schieles 100. Todestag 2018: Tobias Natter legt den Gemäldekatalog vor
Die Albertina zeigt bereits jetzt ihren Gesamtbestand an Arbeiten Egon Schieles, dessen 100. Todestags 2018 gedacht wird. Und Dr. Tobias Natter legt aus diesem Anlass im Taschen Verlag erstmals einen Generalkatalog sämtlicher Gemälde Schieles vor: ein gewaltiger 608 Seiten starker, viele Kilo schwerer Band im XXL- Format.
Tobias Natter präsentiert im Belvedere – früher Chefkurator – zurzeit die Schau „ Klimt und die Antike“. Er war Direktor des Wiener Leopold Museums und arbeitet nach seiner sensationellen Ausstellung „ Klimt und die Frauen“in New Yorks Neuer Galerie soeben an einer Gegenüberstellung des Werkes von Gustav Klimt und Auguste Rodin in San Franzisko. In dreijährigen Detailrecherchen leistete er Außerordentliches: „ Aber ich wusste, wie viel Arbeit das ist“, zieht er jetzt stolz Bilanz.
Denn bei Schiele ging es nicht nur um die genaue Erarbeitung des Lebenslaufs, des Gemäldekatalogs der Jahre 1909 bis 1918 sowie des in vielen neuen Aspekten wichtigen Vorwortes, da ging es auch um heikle Organisationsfragen: Er musste Essays von sechs internationalen Wissenschaftern koordinieren, aber auch Werke auf ihre „ Echtheit“prüfen. Er sorgte dafür, dass festgefahrene Urteile, „ Kardinalfehler“anderer Kunsthistorikerurteile durch neue Erkenntnisse ersetzt und manche neuen Werke der Liste hinzugefügt werden konnten. Eine Entdeckung ist u. a. das – vorerst verschollene – Gemälde „ Stein an der Donau in der späten Abendsonne“( 1913). Ausgeschieden wurde etwa das umstrittene Bild „ Alte Gemäuer“. Aber dieses Buch bietet auch spannenden Lesestoff. Natter zeichnet ein faszinierendes Bild des „ melancholischen Provokateurs“Schiele und warum sein OEuvre in den vergangenen zehn Jahren so spektakulären Aufstieg erlebt hat. Und er weist auf viele Aspekte, die bisher nur nebenbei oder gar nicht erfasst wurden, hin: wie Schieles inszenierte Posen und Provokationen, die Störung des Konventionellen und die Tabubrüche, Schieles „ körperhafte Identitätssuche zwischen Expression und performativer Inszenierung“, die er in ausgemergelten Selbstbildnissen mit weit offenen Augen und angespannten nackten Körpern darstellt. Natter spricht vom „ getriebenen, leidend aufrührerischen Menschen, der sich lustvoll inszeniert“. Und er weist natürlich auf die Verwurzelung Schieles im Nährboden des Wiener Milieus um 1900 hin – wie Gustav Klimt und Oskar Kokoschka.
Nicht bearbeitet wurde allerdings die Zeit seines Akademiebesuchs bei Griepenkerl ( 1906 bis 1908) und der ersten Kontakte zu Gustav Klimt ( 1907). 1908 beteiligte sich Schiele erstmals an einer Ausstellung in Klosterneuburg. Egon Schiele. Sämtliche Gemälde 1909 bis 1918. Herausgegeben von Tobias Natter. Taschen Verlag. 612 Seiten. Preis: 150 Euro.