Die Hochzeit der Plakat- Wahlkämpfe
Österreich wählt am 15. Oktober zum 26. Mal demokratisch seinen Nationalrat. Peter Filzmaier analysiert ab heute jeden Sonntag in einer vierteiligen Serie für die „ Krone“die spannende Geschichte der Wahlkämpfe in unserem Land.
In der Ersten Republik stand ab 1919 das Plakat im Mittelpunkt der Wahlwerbung. Fernsehen gab es keines, Internet natürlich schon gar nicht. Das Radio unternahm in den 1920er- Jahren erste Gehversuche, wurde jedoch deutlich später durch die „ Volksempfänger“der Nazis leistbar – und zum Propaganda- Instrument.
Das Abonnement einer Zeitung war, so unglaublich das heute klingt, ebenfalls vielen Leuten zu teuer. Also mussten Plakate und Flugzettel herhalten, um Wahlkampf- Botschaften überall zu verbreiten.
Sowohl nach der Monarchie als auch 1945 und in den Folgejahren des nationalsozialistischen Schreckensregimes zeigten Plakate sehr bald, dass auf keinen Fall früher alles besser war. Im Gegenteil. Wer sich über schmutzige Wahlkämpfe in der Jetztzeit beklagt, sollte das fairerweise mit Hetzplakaten der Parteien aus den 20er- oder 50er- Jahren vergleichen. Die „ christlich“Sozialen etwa zeigten, um Steuererhöhungen zu kritisieren, in einem Schraubstock ausgepresste und blutspritzende Menschen.
Die Sozialdemokraten präsentierten umgekehrt einen Arbeiter unter anderen auch von bösen Pfarrern ausgepeitscht und gefoltert.
Die Wahlkommunikation spiegelte damals also in Wort und Bild den Klassenkampf und die Gräben in der Gesellschaft wider. Auch nationalistische und antisemitische Motive gab es massenhaft.
„ Deutsche Christen“müssten das Land vor den Juden schützen. In widerwärtiger Form wurde geworben, man solle niemand wählen, der „ im Judenbanne steht“. Damit wurde letztlich für Adolf Hitler eine Stimmung des Hasses aufbereitet.
Wer nicht versteht, warum kürzlich ein Abgeordneter der FPÖ wegen ähnlich dummdreister Anspielungen zur jüdischen Herkunft anderer auf seine Wiederkandidatur verzichten musste, der sollte sich einfach Archive historischer Wahlplakate ansehen. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften oder das Demokratiezentrum beispielsweise haben das ausgezeichnet aufbereitet.
Während ab 1920 die Wahlergebnisse zu bürgerlichen Koalitionsregierungen und verhärteten Fronten mit der SDAP als Vorläufer der SPÖ führten, entstand beim Neuaufbau Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg die Tradition einer großen Koalition von Christ- und Sozialdemokraten, also von ÖVP und SPÖ.
Der große Unterschied im Wahlkampf war jedoch, dass zunehmend Personen und nicht Parteien im Mittelpunkt
der Plakate und sonstigen Wahlwerbung standen. Karl Renner ( SPÖ) wurde in den Anfangsjahren „ vom Bauernsohn zum Staatskanzler“, Bundeskanzler Leopold Figl ( ÖVP) stand für Aufopferung: „ Alles für Österreich.“
Finanzminister Reinhold Kamitz wurde bildlich zum Fußballtormann, der den „ Inflationsball“erfolgreich abwehrte. Der schwarze Julius Raab würde „ an alle denken und alle ihm vertrauen“, Bruno Pittermann wäre als rotes Wortspiel für „ jedermann“. Zugleich entwickelte sich auch die Negativität hin zur persönlichen Ebene.
Raab wurde vorgeworfen, er sei als früherer Heimwehrführer auf keinen Fall vertrauenswürdig: Die Heimwehr als paramilitärische Kampforganisation gegen die Sozialdemokratie hatte 1930 einen Eid zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie abgelegt.
Weniger heikel zeigten sich alle Parteien bei der sonstigen Vergangenheitsbewältigung. Die frühere Nazi- Mitgliedschaft von Kamitz war kein großes Thema.
Demzufolge solle man die genannten Politiker wählen oder nicht. Das war insofern ein sich bis zu Kern, Kurz, Strache & Co. bis in die Gegenwart haltender Etikettenschwindel, weil ja nach unserem Wahlrecht der Bundeskanzler nie vom Wähler bestimmt wurde oder wird.
Wir kreuzen eine Partei an, und Vorzugsstimmen für die Person gelten bloß als Einzugschance in den Nationalrat. Ein Parteichef braucht sie sowieso nicht, da er dafür auf einem sicheren Parteilistenplatz steht.
Der Kanzler wird völlig unabhängig davon – und verfassungsrechtlich ganz egal, ob jemand überhaupt kandidierte – vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt und ernannt. Das Fernsehen spielte, wie gesagt, einstweilen im Wahlkampf keine große Rolle. TV- Konfrontationen der Spitzenkandidaten fanden nicht statt. Erst Bruno Kreisky wurde von 1970 bis 1983 zum ersten „ Fernsehkanzler“.
Anfang der 60er- Jahre sahen weniger als ein Drittel der Österreicher regelmäßig die Nachrichtensendung „ Zeit im Bild“, obwohl bis 1979 außer in Grenzregionen keine anderen Sender als der ORF empfangbar und bis 2001 keine heimischen Privatsender erlaubt waren. Zehn Jahre danach waren es bereits fast zwei Drittel und schließlich sogar vier Fünftel.
Um diese Wahlkampfzeit geht es hier in der Serie am nächsten Sonntag.