Seisenbachers Versteck in Kiew
Seit Dezember 2016 war Peter Seisenbacher auf der Flucht. Zuletzt versteckte er sich in einer heruntergekommenen Wohnung in Kiew. Die „ Krone“war vor Ort – und sprach mit seinen Nachbarn im Plattenbau. Sie nannten den Ex- Judoka bloß „ den Ausländer“. Und
DIE „ KRONE“VOR ORT. Der Ex- Judoka lebte zuletzt in einer heruntergekommenen Plattenbau- Wohnung. Seine Nachbarn hielten ihn für einen Computerfachmann.
Riesige Plattenbausiedlungen neben breiten Autobahnen. BilligSupermärkte. Rissige Betonplätze mit kleinen Lokalen, Obstständen und Gemischtwarenläden. Dazwischen heruntergekommene Einkaufszentren, in denen eine Hose nicht mehr als ein paar Kilo Brot kostet.
Von der Sonne vertrocknete Wiesenstücke, desolate Schaukeln und Klettergerüste. Ein Badeteich, mehrere Kindergärten und Schulen.
Das ist Vinogradar. Dieser Dutzende Quadratkilometer große Bezirk im nordwestlichen Teil von Kiew.
Ein von der Außenwelt scheinbar völlig abgeschotteter Mikrokosmos inmitten der Großstadt, in dem es keine U- Bahn– Stationen gibt und öffentliche Busse nur unregelmäßig fahren; ein „ Scherbenviertel“, in dem fast 300.000 Menschen leben. Die meisten von ihnen in bitterer Armut.
Für „ Frau Nina“galt er als „ Traummieter“
Junge Familien aus der untersten sozialen Schicht, körperlich und psychisch Kranke, Alkoholiker. Ehemalige Gefängnisinsassen. Alte Leute, die den Absprung in eine bessere Gegend nie geschafft haben. Gestrandete.
Kaum jemanden hier kümmert es demnach, wenn irgendwo in den Häuserburgen ein Parteienwechsel stattfindet. Weil die eigenen Probleme viel zu massiv sind, um sich für das, was nebenan geschieht, zu interessieren.
Und so konnte Peter Seisenbacher ganz einfach untertauchen. An der Prospekt Gongadse – einer nach einem 2002 ermordeten Journalisten benannten Straße.
In Block 10, im Appartement Nummer 4. 50 Quadratmeter im Erdgeschoß, Gitter vor den Fenstern. Dusche, Toilette, Wohnzimmer, Schlafraum, Küche. Möbliert. 200 Euro monatlich; Heizung, Strom und Wasser inklusive.
Klar, auch die Wohnungsbesitzerin – Nina, 30 Jahre alt, Ukrainerin – stellte keine tiefergehenden Fragen, als im vergangenen April eine eloquent wirkende Georgierin den Übergabevertrag unterschrieb.
„ Er ging immer nur nachts nach draußen“
Und außerdem machte ja der gepflegt gekleidete Westeuropäer mit den guten Umgangsformen, der das Quartier beziehen sollte, einen vertrauenswürdigen Eindruck. Wie versprochen, zahlte er dann auch immer pünktlich die Miete. Bei persönlichen Treffen, bar, in „ harter Währung“.
Ein „ Traumklient“also für Nina.
Genauso wie für Olga, 64, eine Pensionistin, die mit Seisenbacher bis zuletzt Wand an Wand lebte: „ Ich wusste nicht, wer er ist, wir konnten miteinander nicht reden, weil er meine Sprache nicht verstand. Doch er nickte mir jedes Mal freundlich zu, wenn wir uns am Gang oder beim Postkasten begegneten.“
Was berichtet die Rentnerin sonst über ihn?
„ Er war meistens zuhause und verhielt sich still, drehte nie laut den Fernseher oder das Radio auf.“
Als „ einsamen Wolf“bezeichnen ihn andere Bewohner des Hauses. „ Weil er ja dauernd alleine war“, erzählt Andryi, 49: „ Aber manchmal kamen zwei jungen Männer zu ihm, die ihm in Plastiksäcken oder Reisetaschen irgendwelche Dinge brachten.“
Vermutlich Lebensmittel und Toiletteartikel. Denn tagsüber, zu den Öffnungszeiten der Geschäfte, sei „ der Ausländer“selten nach draußen gegangen.