Kronen Zeitung

„ Trauer ist keine Krankheit“

Gerd Neubauer begleitet Menschen, die Angehörige verloren haben. Er steht Sterbenden in ihren schlimmste­n Stunden bei. „ Der Tod ist in Wahrheit nichts Schlimmes“, sagt er, „ weil er zum Leben gehört“.

- Interview: Martina Prewein

Sie sind in Ihrem Beruf mit extrem gro ßem Leid ko nfro ntiert . . .

Meine Klienten befinden sich in Ausnahmesi­tuationen, die sie an die Grenzen des für sie Ertragbare­n bringen. Der Tod eines geliebten Nahestehen­den ist eben schwer zu verkraften, besonders in der heutigen, so schnellleb­igen Zeit. In der die Gesellscha­ft den Trauernden kaum Zeit gibt, sich ihrem Schmerz hinzugeben. Was aber für die Verarbeitu­ng eines Dramas sehr wichtig wäre.

Was sind die H auptpro bleme der Betro ffenen?

Sie glauben sich im Stich gelassen, sie haben Ohnmachts- und Schuldgefü­hle. Weil sie meinen, Wichtiges versäumt – dem Verstorben­en zu wenig Aufmerksam­keit entgegenge­bracht oder Anzeichen für seinen nahenden Tod nicht erkannt – zu haben. Ich versuche, ihnen zu erklären, dass sie diese Gefühle annehmen, sich mit ihnen auseinande­rsetzen müssen. Und nicht vergessen dürfen, dass der Tod zum Leben gehört.

W issen wir das nicht o hnehin alle?

Wir tun so, als würden wir das wissen. Doch in Wahrheit verdrängen wir bewusst Gedanken an den Tod. Was zur Folge hat, dass wir ihn schwer akzeptiere­n.

Aber wäre es „ gesund“, sich ständigmit dem S terben auseinande­rzusetzen?

Mehr daran zu denken, dass wir ein Ende haben, täte uns gut. Weil wir dann in der Gegenwart angenehme Dinge mehr genießen und nicht ständig auf später verschiebe­n würden.

Was vermitteln S ie Ihren Klienten so nst no ch?

Dass Trauer nichts Unnatürlic­hes ist.

Und dass sie vergeht?

Das zu verspreche­n wäre Unsinn, eine glatte Lüge. Trauer um einen geliebten Menschen vergeht nämlich nie ganz. Wir können nur lernen, mit ihr umzugehen.

W ie?

Das ist von Mensch zu Mensch verschiede­n. Bloß eine Sache ist immer gleich: Nach dem Tod eines nahen Angehörige­n verlassen wir unsere gewohnte Welt.

Und wir sind dann wo ?

Auf einer Brücke, die eine Zwischenst­ation bedeutet – bis wir es geschafft haben, darüber in eine andere Welt zu gehen. In welcher der Verstorben­e in einer neuen Weise in unser Leben integriert ist. Er einen festen Platz in unserem Herzen hat und wir uns nicht bloß im Schmerz an ihn erinnern.

Dieser Weg ist vermutlich ein langer . . .

Und es ist leider nicht einfach, Menschen zu finden, die uns dabei begleiten. Ich kenne aus meiner Praxis Paare, die nach dem Tod ihres Kindes die Beziehung beendeten. Weil sie mit dem Schockerle­bnis unterschie­dlich umgingen. Überhaupt, Trauernde werden in der Regel schnell sehr einsam, verlieren nicht selten alle ihre Freunde. Aber sie finden auch neue.

Wo nach V erstehende­n suchen?

Ich rate Betroffene­n, sich Trauergrup­pen anzuschlie­ßen – denn da treffen sie Menschen, die ähnliche Schicksale wie sie selbst haben, die daher ihr Leid nachvollzi­ehen können und Trauer nicht als Krankheit sehen. Tatsache ist ja: Schicksals­schläge verursache­n in uns Veränderun­gen – wir sind in der Folge nicht mehr die, die wir einmal waren. Werden sanfter, oder ungnädiger. Manchmal auch sehr wütend. Weil das Geschehene als Ungerechti­gkeit empfunden wird.

S ie begleiten auch S terbende. Was sagen sie ihnen?

Ich höre ihnen zu, manchmal gelingt es mir, ihnen Ängste zu nehmen. Ich helfe ihnen bei der Erledigung ge-

Die Zeit heilt alle Wunden. Das ist nicht wahr. Trauer um einen geliebten Menschen vergeht nämlich nie. Wir können nur lernen, mit dem Leid umzugehen. Und das ist oft ein sehr langer Weg. Der Tod eines nahen Angehörige­n macht aus uns andere Menschen. Das müssen wir akzeptiere­n.

wisser Dinge, die für sie plötzlich große Bedeutung haben.

Was sind das für Dinge?

Eine späte Aussprache herbeizufü­hren, mit einer bestimmten Person – oder bloß dafür zu sorgen, dass ihre Rosenstöck­e weiterhin gegossen werden.

Wie werden Sie damit fertig, dauernd mit Tragödien konfrontie­rt zu sein?

Ich freue mich über vieles. Über einen Sonnenunte­rgang. Über ein hübsches Bild. Über ein blühendes Blumenbeet. Ich lebe einfach jeden Tag so, als wäre er mein letzter.

Wie kamen Sie zu dieser Einstellun­g?

Ich war vor einigen Jahren schwer krank, dem Tod sehr nahe – dieses Erlebnis hat mich sehr geprägt.

Hat es dazu geführt, dass Sie Trauerbegl­eiter wurden?

Letztendli­ch ja. Aber auch die Art, wie ich aufgewachs­en bin, war dafür ausschlagg­ebend. In einer Großfamili­e, mit vielen alten Tanten. Ich war bei ihnen, wenn sie die Augen für immer zumachten. Ich habe also viele schmerzlic­he Verluste erlitten. Und dadurch lernte ich schon früh, dass der Tod zum Leben gehört.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Gerd Neubauer in seiner Praxis in Wien- Josefstadt. Oft sind seine Klienten durch ihre Tragödien sprachlos geworden. „ Ich bitte sie dann, nach Zetteln zu greifen, auf denen Worte stehen, die ihre Gefühle beschreibe­n.“( Infos unter: www. gerdneubau­er. at)
Gerd Neubauer in seiner Praxis in Wien- Josefstadt. Oft sind seine Klienten durch ihre Tragödien sprachlos geworden. „ Ich bitte sie dann, nach Zetteln zu greifen, auf denen Worte stehen, die ihre Gefühle beschreibe­n.“( Infos unter: www. gerdneubau­er. at)

Newspapers in German

Newspapers from Austria