Mord im Orient Express Schneeverwehungen & mörderische Gefühlskälte
Top- Neuverfilmung des berühmten Agatha- Christie- Krimiklassikers: Kenneth Branagh ist Hercule Poirot – und setzt als Regisseur auf ein mörderisch- mondänes Star- Ensemble ( ab 10. November im Kino)
MiCh interessiert, wie die wAhre mörderisChe MotivAtion der einzelnen Figuren zu TAge tritt.
Regisseur Kenneth Branagh
Nach Longcross, bitte“, weise ich den Chauffeur höflich an. „ Yeah, zum Panzerübungsplatz“, jubelt dieser und gibt Gas. Ich bin irritiert. „ Moment, nein, zu den Filmstudios.“Der noch immer völlig enthusiasmierte Driver zwinkert in den Rückspiegel, murmelt erneut etwas von military vehicles. Meine Stimme wird schrill: „ No, bullshit, dort muss ein Zug stehen. Ein alter. Oder sein Nachbau. Der Orient Express!“„ Ein Zug?“, kläfft der Typ verständnislos.
Ja, verflixt, ich will zu den Filmstudios in Longcross, gut eine Autostunde südwestlich von London. Immerhin quert der gute Mann das ländliche Surrey. Und, ja, wir finden hin.
Die britischen Longcross Studios sind heiliger Boden für Produktionsgesellschaf- ten. Denn in den riesigen Hallen wird Kinomagie erschaffen. Hier wurden u. a. Szenen zu „ Skyfall“, „ Fast & Furious 6“, „ Dr. Strange“gedreht. Und hier entstehen auch Teile der topbesetzten Neuverfilmung des ChristieKlassikers „ Mord im Orient Express“.
Und dann steht er auch schon vor mir, der Mann, der in Personalunion als Hauptdarsteller, Produzent und Regisseur dieses 60- Mio.Dollar- Dings stemmt: Kenneth Branagh. Dass den berühmten Shakespeare- Mimen ein gewaltiger Schnurrbart ziert – er spielt den Meisterdetektiv Poirot –, ist irgendwie lustig. Sachlich stellt er fest: „ Ich war schon in der Maske“– und nimmt die nächste Szene in Angriff.
Im Salonwagen macht es sich ein Top- Cast gemütlich, verschmilzt mit dem Art- déco- Ambiente, um alsbald von Poirot, also Branagh himself, ins Kreuzverhör genommen zu werden. Schließlich geht es um Mord. Und wo es einen Mord gibt, existiert auch ein Mörder! So viel sei verraten: Johnny Depp kommt als Mr. Ratchett nicht in den Genuss der gan-
zen Reise . . . Und der gibt drehbuchgemäß den sinistren Dandy.
Überhaupt diese Eleganz, die für den Regisseur zum Stilmittel wird. K. Branagh: „ Für diese von Agatha Christie konzipierte Rachegeschichte braucht es den richtigen Rahmen. Und Heimtücke lässt sich durch Eleganz vortrefflich kaschieren. Da trifft feudaler Glanz auf Dekadenz, Impertinenz, Verhüllung – gepaart mit vermeintlicher geistiger Überlegenheit.“
Albert Finney überzeugte in der Sidney- Lumet- Verfilmung – u. a. neben Lauren Bacall, Ingrid Bergman, Jacqueline Bisset und Sean Connery – als Poirot, ein Part, dem Peter Ustinov in anderen Christie- Adaptio- nen seinen ganz eigenen Stempel aufdrückte.
Was fasziniert Branagh an dieser Rolle? K. Branagh: „ Mich interessiert, wie hier ein Detektiv Scharfsichtigkeit und hohen moralischen Anspruch verquickt, wie die wahre mörderische Motivation der einzelnen Figuren zu Tage tritt.“
Und er betont: „ Von einem Remake kann hier nicht die Rede sein.“Also kein Kammerspiel auf Schienen?
K. Branagh: „ Glauben Sie mir, der Film ist actionreich. Es gibt da diese Lawinensequenz. Wenn der Zug im Schnee stecken bleibt, dann sind das spektakuläre Bilder.“Und wirklich, die Abteilfenster sind künstlich vereist, so als hätte der Frost Schneekristalle an die Scheiben gehaucht. Eiseskälte à la „ Dr. Schiwago“also, gepaart mit Gefühlskälte, die mor- den lässt. Ein Konzept, das mit dem hochkarätigen Staraufgebot – wir treffen u. a. auf Judi Dench, Penélope Cruz, Michelle Pfeiffer, Willem Dafoe – aufgehen sollte.
Mr. Branagh, reisen Sie selbst gerne in Zügen? K. Bra
nagh: „ Mich fasziniert die raketengleiche Effizienz moderner Züge. Aber nur in Nostalgie- Zügen kommt man in den Genuss des entschleunigten Reisens. Man findet Gesellschaft oder zieht sich zurück. Und draußen trägt die Natur ihre Landschaftsbilder vorbei.“Liest Mr. Branagh privat Krimis?
K. Branagh: „ Das ist autorenabhängig. Das Spannende daran ist ja, die Illusion des vermeintlich perfekten Verbrechens hinauszuzögern – und diese dann Schritt für Schritt zu demontieren.“
PS: Ja, in Longcross gab es auch einmal Panzer. Die Geschütze, die Monsieur Poirot hier auffährt, dienen aber nur der Wahrheitsfindung.