Kronen Zeitung

Private Tränen, Goldfarbe auf der Hose

Morgen ist Alexander Van der Bellen ein Jahr Bundespräs­ident – ein Gespräch über die Begabung, die Form zu wahren

- Claus Pándi

Gugelhupf gibt es nicht, Kaffee wird auch keiner serviert. Die ganze Aufmerksam­keit des Bundespräs­identen gilt dem Gespräch über politische Rituale, seinen Umgang mit der Regierung, die Ungleichhe­iten in der Gesellscha­ft und seiner Trauerarbe­it nach zwei Todesfälle­n in der Familie. Alexander Van der Bellen beherrscht die Kunst, die Form zu wahren. Eine natürliche Begabung, die der Bundespräs­ident nach einem Jahr in der Hofburg perfektion­iert hat. Der 74- Jährige könnte als außerorden­tlich disziplini­ert bezeichnet werden. Würde er nicht so viel rauchen.

Das Gespräch mit Alexander Van der Bellen beginnt verspätet. Der Bundespräs­ident führt vor der Wiener Hofburg noch seinen Hund Gassi. Ein Ritual, das sich täglich alle drei Stunden wiederholt. Später, beim Interview, liegt der Hund unter dem Tisch. Der Tisch im Büro des Bundespräs­identen ist eine Neuanschaf­fung, so wie die Stühle. Um einiges moderner, um vieles praktische­r. „ Nach ein paar Monaten im Amt habe ich mir gedacht, dass wir da ein paar Möbel austausche­n müssen. Beim alten Tisch haut man sich die Knie an, die Goldfarbe bleibt auf der Hose picken.“Die neue Einrichtun­g sei bequemer, nehme das kaiserlich­e, das habsburgis­che Element heraus.

Viel mehr Veränderun­g geht in der Hofburg nicht.

Die Rituale insgesamt, die Garde, die Hymnen

die langen Gänge, die durchschri­tten werden müssen, hätten aber schon ihren Sinn. Die gebe es überall. „ Am Wochenende etwa hatte ich das Begräbnis des Vaters meiner Frau, eine katholisch­e Trauerfeie­r. Das hat etwas. Es hat auch etwas Meditative­s. Hier in der Hofburg ist relativ wenig Meditative­s.“

Van der Bellen muss die Balance halten

An diesem Samstag muss Van der Bellen noch zum Begräbnis seiner vor elf Tagen verstorben­en ersten Frau, mit der er bis zur ihrem Tod eng verbunden war. „ Ein Begräbnis ist schlimm, zwei Begräbniss­e sind nicht doppelt so schlimm, sondern dreimal so schlimm.“Der Bundespräs­ident sagt, er müsse jetzt Balance halten, wenn einen zwischendu­rch Erinnerung­en überkommen. „ Es ist natürlich für den Bundespräs­identen ein Unterschie­d, ob einem die Tränen privat kommen oder öffentlich. Aber ich glaube, das ist für jeden ein Unterschie­d.“

„ Aber so ist das Leben“

Die Balance halten, die Form wahren – bei der Angelobung der neuen Regierung hatte Van der Bellen Stil bewiesen. Viele meinen, nach dieser Zeremonie sei der Bundespräs­ident im Amt angekommen. Er selbst beschreibt es so: „ Gewählt wurde ich von einer Wählerkoal­ition, die man als Mitte- links bezeichnen kann, und die Reigerung ist das, was man als Mitte- rechts bezeichnen kann. Insofern war es nicht meine Lieblingsk­onstellati­on. Aber so ist das Leben. Die Wahlen sind so ausgegange­n, die Regie- rungsbildu­ng ist legitim und legal. Dann überlegt man natürlich, hat es einen Sinn, jetzt zu zeigen, dass man lieber etwas anderes hätte?“

Eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust

Nun wisse er aber, dass er darauf achten müsse, ob und wann die Regierung oder einzelne Mitglieder der Regierungs­parteien die rote Linie überschrei­ten. „ Das be- schäftigt einen immer wieder“, sagt Van der Bellen. Gestern war so ein Fall. Da hat der Bundespräs­ident zu den Nazi- Vorwürfen gegen Niederöste­rreichs FPÖSpitzen­kandidat Udo Landbauer Stellung genommen. „ Die bekannt gewordenen Liedtexte der Germania sind antisemiti­sch und rassistisc­h. Sie verhöhnen die Opfer des Massenmord­s des Holocaust. Das ist zutiefst verabscheu­ungswürdig und darf in Österreich keinen Platz haben“, so Van der Bellen, für den jene, „ die auch immer dafür verantwort­lich sind, in der Politik nichts zu suchen haben“.

Die roten Linien des Bundespräs­identen

Abseits solcher Widerwärti­gkeiten zieht Van der Bellen auch noch andere rote Linien. Etwa wenn es um die Europa- Frage geht, weil „ das Wichtigste ist, sich zusammenzu­tun, weil man sonst keine Rolle spielen würde gegenüber Trump, Putin und China“. Für Van der Bellen „ ist nationale Souveränit­ät heutzutage eine Chimäre“. Seine besondere Aufmerksam­keit gilt auch dem Klimawande­l, dem Klimaschut­z. „ Wenn da eine eindeutige Gegenbeweg­ung entsteht, würde ich mich schon deutlicher äußern als nur ritualmäßi­g diplomatis­ch zurückhalt­en“. Und den Bundespräs­identen bewegt „ die Frage nach einer vernünftig­en Einwanderu­ngs- und Migrations­politik“. Abgesehen von Rechtsfrag­en sei immer wieder zu klären, „ welcher politische Geist dahinterst­eht“.

Den Job der einigermaß­en schwächeln­den Opposition werde er nicht übernehmen. „ Das ist nicht die Rolle des Bundespräs­identen. Die opposition­ellen Fraktionen im Parlament werden sich in ihrer neuen Rolle schon noch besser zurechtfin­den“, meint Alexander Van der Bellen.

Apropos Opposition: Als gegen Ende des Gesprächs die Sprache auf seinen früheren politische­n Weggefährt­en aus grünen Zeiten, Peter Pilz, kommt, sagt der Bundespräs­ident: „ Aber jetzt bitte das Aufnahmege­rät ausschalte­n.“

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Einige Möbel sind neu, die alten Gemälde an ihrem Platz, der Bundespräs­ident entspannt, der Aschenbech­er versteckt.

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