Kronen Zeitung

Das Drama hinter Tür Nummer 4

Monate hindurch lagen eine Türkin ( 45) und ihre 15- jährige Tochter tot in einer Wohnung in Wien. Unbemerkt von Nachbarn, Behörden und Angehörige­n. In der „ Krone“spricht nun der Ehemann und Stiefvater der Verstorben­en. Über die Chronik einer angekündig­t

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Wien- Floridsdor­f, an der Grenze zu Niederöste­rreich. Die Gegend: ruhig. Grünfläche­n und Spielplätz­e zwischen den Siedlungen. Die Bewohner: Rentner, junge Familien; Angestellt­e, Beamte, Arbeiter.

„ Sie wirkten abweisend und feindselig …“

Hier, in einem dreistöcki­gen Gemeindeba­u in der Rußbergstr­aße, haben Fatima G. ( 45) und ihre 15- jährige Tochter Tugba auf 70 Quadratmet­ern gelebt. Jahre hindurch.

Trotzdem wussten ihre Nachbarn nie viel über sie.

Die zwei Türkinnen sprachen kaum Deutsch, bei Begegnunge­n im Stiegenhau­s hätten sie „ abweisend, mitunter sogar feindselig“gewirkt, „ und ohnehin vermittelt­en sie den Eindruck, dass sie nur für sich sein wollten“. Also gab es irgend- wann keine Kontaktauf­nahmeversu­che mehr, und die beiden wurden im Block bloß noch „ die Verrückten“genannt. Schreiduel­le sollen sie sich manchmal geliefert haben, durch die Wände sei das zu hören gewesen. Zuletzt aber nicht mehr, „ deshalb dachten wir, sie wären vielleicht ausgezogen“.

Und so konnte es geschehen, dass niemand etwas von dem Drama bemerkte, das hinter Tür Nummer 4 geschah. Monate hindurch lagen Fatima G. und Tugba tot in ihrer Wohnung. Die Frau im Wohnzimmer, auf einer Matratze; das Mädchen auf seinem Bett, in einem Nebenraum.

Fenster gekippt, die Heizung ausgeschal­tet. Neben den bei ihrer Auffindung stark verwesten, teilweise mumifizier­ten Leichen standen leere Becher.

Verschimme­lte Essensrest­e in der Küche, der Balkon zugemüllt. Die Türe mehrfach verschloss­en, zusätzlich gesichert durch eine Eisenkette und verbarrika­diert mit Säcken voll Mist.

Vielleicht wäre die Tragönoch lange unentdeckt geblieben, „ wenn ich nicht“, sagt Fatimas G. s Ehemann Sahabettin, „ endlich das Äußerste getan hätte...“

Jetzt sitzt der 57- Jährige in einem Lokal, neben ihm seine zwei Söhne aus erster Ehe, Tränen laufen über seine Wangen: „ Ich spürte, dass etwas Schrecklic­hes geschehen sein musste, mit meiner Frau und meiner Stieftocht­er.“Weswegen er am 7. Februar einen Schlüsseld­ienst engagierte, um – im Beisein der Polizei – die Wohnung, in der er einst selbst gelebt hatte, öffnen zu lassen. „ Gleich erkannten die Beamten, dass etwas seltsam war, und machten ohne mich eine Nachschau.“

Minuten später bekam der Taxifahrer die grauenhaft­e Nachricht…

„ Sie schafften es nicht, in Wien Fuß zu fassen“

Das Davor? „ Alles passierte so schleichen­d. Ich glaubte einmal, in Fatima eine wunderbare Partnerin gefunden zu haben.“

Schon als junger Mann war Sahabettin G. nach Österreich gekommen, hatte sich hier mit seiner – ersten – Frau eine gesicherte Existenz aufgebaut: „ Als unsere beiden Kinder älter wurden, begann es in der Ehe zu kriseln.“2010 die Scheidung.

2011 ein Urlaub, in seinem Heimatort in der Türkei. „ Freunde machten mich mit Fatima bekannt. Wir waren uns sofort sympathisc­h.“Die Frau: geschieden, zweifache Mutter. Der Sohn erwachsen, die Tochter – Tugba – damals neun.

Oft reiste er in der Folge zu seiner neuen Liebe, 2013 die Hochzeit: „ Bald übersiedel­te sie zu mir, und wir bekamen ein Mädchen.“Ceren ( Name geändert).

Und Tugba? „ Sie blieb bei ihren Großeltern. Aber sie hatten Schwierigk­eiten mit ihr. Die Kleine hielt sich an keine Regeln, war sehr aggressiv. Wahrschein­lich, weil sie Sehnsucht nach ihrer Mutter hatte. Daher holten wir sie 2015 zu uns. Damit wurde vieles schwierige­r. Meine Stieftocht­er schaffte es nicht, hier Fuß zu fassen. Ich bezahlte ihr Deutsch- Kurse, sie besuchte sie selten. Auch die Schule schwänzte sie ständig.“

Je mehr sich das Mädchen von der Außenwelt abkapselte, tat das auch ihre Mutter: „ Sie wurde seelisch auffällig. Sprach plötzlich von bösen Geistern, putzte jeden Abend die Böden mit Essig, um sie zu vertreiben.“

Überredung­sversuche, einen Psychiater zu konsultier­en, scheiterte­n. „ An einem Morgen im März

2017 begann sie mich ohne Grund zu würgen und wollte mich vom Balkon stürzen. Daraufhin zog ich aus.“

Was geschah mit Ceren, der kleinen Tochter? „ Fatima ließ mich nicht mehr zu ihr, ich wandte mich an das Jugendamt.“

Zuletzt lebten sie in einer Wahnwelt

Bei einer Kontrolle im August entdeckten Sozialarbe­iter schwere Misshandlu­ngsspuren an der Dreijährig­en. Ihr Körper: übersät mit blauen Flecken und Brandwunde­n. Der Frau wurde das Kind abgenommen.

Und dann? „ Ließen Fatima und Tugba niemanden mehr in ihre Wohnung.“

Nicht die Polizei, nicht andere Behördenve­rtreter, keinen ihrer Angehörige­n: „ Und ihre Handys waren ausgeschal­tet – jetzt weiß ich, dass meine Stieftocht­er sie zertrümmer­t hatte.“

Im September wurden die zwei in einem Supermarkt gesehen, im November will eine Verwandte Geräusche aus der Wohnung wahrgenomm­en haben.

Wann genau die Türkinnen starben, kann wohl niemals geklärt werden. Genauso wenig wie die Umstände ihres Todes. Bei den Obduktione­n wurden keine Hinweise auf Gewalteinw­irkungen festgestel­lt. Toxikologi­sche Befunde stehen noch aus. Vermutet wird ein Doppel- Suizid oder ein erweiterte­r Selbstmord.

Ceren wächst nun bei Sahabettin G.’ s Ex- Frau, die sie mittlerwei­le Mama nennt, auf. Über ihre leibliche Mutter und die Halbschwes­ter redet sie nur, wenn sie auf ihre Narben sieht. Dann sagt sie mit leiser Stimme: „ Sie haben mir wehgetan.“

„ Ist es möglich, dass Fatima und Tugba gleichzeit­ig wahnsinnig wurden?“, fragt der 57- Jährige. Er erwartet keine Antwort.

 ??  ?? Sahabettin G. mit seinen beiden Söhnen aus erster Ehe. Töchterche­n Ceren wurde von seiner zweiten Frau schwer misshandel­t.
Sahabettin G. mit seinen beiden Söhnen aus erster Ehe. Töchterche­n Ceren wurde von seiner zweiten Frau schwer misshandel­t.
 ??  ?? Anwalt Werner Tomanek wurde von der Familie der Opfer engagiert, um schnell Einsicht in den Akt zu dem Todesdrama zu bekommen.
Anwalt Werner Tomanek wurde von der Familie der Opfer engagiert, um schnell Einsicht in den Akt zu dem Todesdrama zu bekommen.
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 ??  ?? Fatima G. kam 2013 nach Wien, zwei Jahre später holte sie Tochter Tugba aus der Türkei zu sich und ihrem neuen Ehemann. Die Frau und das Mädchen schafften es nie, hier Fuß zu fassen. Zuletzt sollen sie unter Wahnvorste­llungen gelitten haben.
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Fatima G. kam 2013 nach Wien, zwei Jahre später holte sie Tochter Tugba aus der Türkei zu sich und ihrem neuen Ehemann. Die Frau und das Mädchen schafften es nie, hier Fuß zu fassen. Zuletzt sollen sie unter Wahnvorste­llungen gelitten haben. Am 7....

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