Stadt der Wende
Mit einer einfachen Bürgermeisterwahl begann in Ungarn der Glaube an den Sturz des Systems Orbán. Ein Besuch in Hódmezovásárhely
er Definition aus dem berühmten Roman „ Ich denke oft an Piroschka“wird Hódmezovásárhely nicht gerecht. Im LiteraturKlassiker als „ hundsmiserables Saudorf“bezeichnet, offenbart sich Hódmezovásárhely ( Deutsch: Neumarkt an der Theiß) als hübsche Kleinstadt im ungarischen Südosten. Der Stadtkern mit Fußgängerzone wurde dank EUFörderung reno- viert, auch die Umgebung wird gerade vom postkommunistischen Mief befreit. Es herrscht Vollbeschäftigung. Die Bevölkerung ist konservativ. Eigentlich klassische Orbán- Wählerschaft.
Und doch verpassten die 44.000 Einwohner dem Ministerpräsidenten vor sechs Wochen bei der „ Generalprobe“für die Parlamentswahlen am Sonntag, den Bürgermeisterwahlen, eine schallende Ohrfeige. Erstmals seit zwanzig Jahren sitzt mit Péter Márki- Zay kein Bürgermeister der regierenden Fidesz- Partei im Rathaus. Wie das möglich war? Weil ein seltsames Bündnis sich gegen Fidesz gestellt hat. Ein Bündnis der rechtsextremen Jobbik mit Sozialisten bis zu den Grünen, das sich geschlossen hinter Márki- Zay gestellt hat. Der mit fast 60 Prozent gewann. Verlor davor aber seinen Job. Selbst der Pfarrer beschimpfte ihn von der Kanzel.
Die Fidesz- Niederlage wird zum einen Orbáns Kanzleiminister János Lázár angelastet, der selbst von 2002 bis 2012 hier Bürgermeister war. Und weil sich Orbán verrechnet hat. Er hat ungarischstämmigen Serben das Wahlrecht verschafft. Die Grenze ist 30 Kilometer entfernt. In Hódmezovásárhely leben und arbeiten viele Serben. „ Orbán ist ein intelligenter Typ“, so Ivor, ungarischer Serbe und lokaler Kaffeehausbetreiber. „ Gewählt habe ich ihn aber nicht.“Wie viele seiner Landsleute. Es ist weniger die Korruption als Orbáns Vetternwirtschaft, die der Wählerschaft sauer aufstößt. Die Stadt könnte am Wahl- Sonntag beispielhaft für das ganze Land stehen. Hódmezovásárhely – die Stadt der Wende.