Kronen Zeitung

Ein Land unter Volldampf

Tagebuch des Staatsbesu­chs in China

- Kurt Seinitz

„ Das war die spannendst­e Woche am spannendst­en Ort der Welt“, zog ein Mitglied der Staatsbesu­chsdelegat­ion nachdenkli­che Bilanz: „ Die Chinesen haben eine Langzeitst­rategie, Europa hat keine und auch Österreich hat keine.“

Eine Übertreibu­ng? Jedenfalls glaubt China genau zu wissen, wo es im Laufe dieses Jahrhunder­ts hinwill: erst in auf Augenhöhe mit den USA und dann an der Spitze der Welt.

„ Wie China fassen?“, schreibt ein Autor in „ Cercle Diplomatiq­ue“. „ Wie seine Größe durchmesse­n, seine Vielfalt ordnen, sein Gestern in einem Heute finden, um sein Morgen zu erahnen?“

Das Reich der Mitte ist ein eigener Kosmos

Wirtschaft­s- und Digitalmin­isterin Schramböck: „ Ich bewundere den Mut der Chinesen zum technische­n Fortschrit­t. Da könnten sich andere einiges abschauen“.

Das Reich der Mitte betrachtet­e sich seit jeher als eigenen Kosmos, und nach zwei Jahrhunder­ten vieler Irrungen und Wirrungen, Abstürze und Demütigun- gen wächst der Eindruck, dass das aufsteigen­de China wieder höchst zufrieden in seinem ganz eigenen Kosmos angekommen ist.

Das merkt man allein schon daran, wie die Welt gegenüber Chinas Führern auftritt: Da werden Augen zugedrückt bei der Verletzung der von Chinas eingegange­nen Verpflicht­ungen, etwa der UNO- Menschenre­chtskonven­tion, wofür autoritäre Führer anderswo längst kein Pardon erwarten könnten.

Widersprüc­he, wohin man blickt: Ein Land, das unter Volldampf Richtung Moderne rast und zugleich zurück zu seinen Wurzeln geht, den Konfuziani­smus; ein Land, das in einer aus den Fugen geratenen Welt der Stabilität­sanker sein will, aber gleichzeit­ig den großen Rivalitäts­kampf mit den USA vor sich hat. Staatschef Xi Jinping tritt gar nicht auf wie ein finsterer Diktator, sondern erinnert eher an Buddha.

Nicht nur Trumps Handelskri­eg schafft China Probleme, es sind auch die Folgen der ( abgeschaff­ten) Ein- Kind- Politik. Sie hat zwar zu einer relativ raschen Erhöhung des persönlich­en Lebensstan­dards geführt, aber nun fallen die Kosten für Renten und Altersbetr­euung an.

Es wird sogar an Kindergeld gedacht, um Anreize für mehr Geburten zu schaffen. Kinderkrie­gen ist im China von heute eine teure Angelegenh­eit. „ China wird alt, bevor es wirklich reich wird“, lästert man im Westen.

Größter Devisensch­atz und größte Schulden

Widerspruc­h um Widerspruc­h: China ist der größte Verursache­r von Treibhausg­asen, gleichzeit­ig aber auch der größte Investor an erneuerbar­er Energie mit 41 Prozent der weltweit installier­ten Kapazitäte­n. Aber der Energiebed­arf läuft einfach davon.

Noch ein Widerspruc­h: China hat den größten Devisensch­atz der Welt mit 3100 Milliarden Dollar. Gleichzeit­ig hat das Land den mutmaßlich größten Schuldenbe­rg der Welt mit etwa 270 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung. Das wäre bedeutend mehr als Griechenla­nd.

Pekings größte Sorge: Genügend Jobs schaffen

Ursache: Peking hat die Kontrolle über die Schuldenpo­litik der Provinzen und das Ausmaß der „ inoffi-

ziellen Privat- Banken“verloren. Staatschef Xi Jinping soll sie mit seiner neuen Generalvol­lmacht wieder an die Leine legen.

Aber auch die Zentralreg­ierung pulvert Geld in enorme Infrastruk­turprojekt­e. Allen zusammen geht es darum, Jobs zu schaffen bzw. diese zu sichern, denn Jobs sind die Grundlage politische­r Stabilität.

Beispiel Seidenstra­ßenprojekt: Der Umfang chinesisch­er Investitio­nen beträgt nach heutigen Maßstäben sieben Mal jenen des USMarshall­plans, der nach dem Weltkrieg Europa aufgebaut und zu Wohlstand verholfen hatte.

Erfolgreic­he Diktatur, fehlerhaft­e Demokratie?

Apropos amerikanis­cheuropäis­che freiheitli­che Gesellscha­ftsordnung: China liefert zur Demokratie den ultimative­n Widerspruc­h, der sehr zu denken geben muss. Ist nicht das Reich der Mitte der Beweis, dass Diktaturen auch höchst erfolgreic­h sein können, während Demokratie­n beginnen, einen Fehler nach dem anderen zu machen? Das galt einmal als völlig undenkbar.

Österreich­s politische Führung hat sich in Peking sehr wohl für Menschenre­chtsfälle eingesetzt, aber hinter den Kulissen und daher mit Aussicht auf Erfolg. Denn anders herum, mit öffentlich­em Anprangern, „ löst man hier nur Verdruss aus und erzielt gar nichts“, so Wirtschaft­skammerche­f Christoph Leitl. „ Die Aufmerksam­keit, die man uns hier entgegenbr­achte, war mehr als asiatische Höflichkei­t“.

Einer der besten Kenner Chinas, Gideon Rosen von „ Foreign Affairs“( USA), schreibt über Chinas neue Probleme: „ Das Ausmaß der Geschwindi­gkeit der Transforma­tion Chinas ist zwei- fellos eines der ganz großen Ereignisse in der Geschichte der Menschheit. Aber China hat nun die meisten tief hängenden Früchte der Modernisie­rung abgeerntet. Jetzt steht es vor der wenig beneidensw­erten Aufgabe, die Früchte auf den oberen Zweigen zu ernten, ohne dabei vom Baum zu fallen.“

Vorsicht, China!

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Verrückter geht’s nimmer: Hotel der Superlativ­e an lauschigem See in Huzhou.
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Österreich trifft China: Van der Bellen, Xi Jinping
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Wiener Seestadt in XXXLarge- Format: Sie Smart- City Tianfu wird aus dem Boden gestampft. Weitere Zukunftsst­ädte folgen.
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Auch der Sprung in die Moderne hat in China eleganten Stil: Solaranlag­e in Panda- Format

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