Kronen Zeitung

Augen zu und Hände auf!

Am Grenzfluss Griechenla­nd – Türkei entsteht die neue Fluchtrout­e

- LOKALAUGEN­SCHEIN AN DER TÜRKISCH- GRIECHISCH­EN GRENZE EVROS.

In Schlauchbo­oten trotzen sie den Fluten eines gefährlich­en Gewässers. Mehr als 4600 gezählte Flüchtling­e kamen zuletzt über den Grenzfluss Evros aus der Türkei nach Griechenla­nd. Lassen türkische Wachtposte­n die Schlepper bewusst gewähren?

Wie Schatten huschen die Gestalten an einem späten Abend über das Bahngleis zwischen dem griechisch­en Dorf Pythio und dem Evros, dem Grenzfluss zur Türkei. Zuerst sind es zwei, dann vier und dann noch einmal vier junge Männer.

Sie wollen nicht sprechen, wollen nicht erkannt werden und haben es eilig. Einer sagt nur so viel, dass sie Palästinen­ser seien.

Schlepper schmieren die Grenzwächt­er

Am übernächst­en Vormittag, zwei Dörfer weiter: „ Wir sind wahnsinnig hungrig und durstig“, sagen die beiden Kurden aus dem Nordirak. Am Morgen waren sie aus der Uferböschu­ng am Evros gekrochen.

Schlepper organisier­ten das Boot. Türkische Sicherheit­skräfte hätten sie keine gesehen. Beide wollen nach Deutschlan­d, wie sie sagen.

Auf einer Länge von fast 200 Kilometern bildet der Evros über weite Strecken die natürliche Grenze zwischen Griechenla­nd und der Türkei. Nur nahe der westtürkis­chen Stadt Edirne verläuft die Grenze durch trockenes Land. 2012 hat Griechenla­nd an dem zwölf Kilometer langen Abschnitt einen Stacheldra­htzaun errichtet. Die Flussgrenz­e ist weitaus schwierige­r zu kontrollie­ren.

Im April war die Zahl der Flüchtling­e überrasche­nd gestiegen. Die Dunkelziff­er ist nicht abzuschätz­en.

Nicht selten halten die Schlepper ihre „ Kunden“dort wie Geiseln fest, damit ihre Angehörige­n Geld schi- cken. Auch in Lkws und in Minibussen entdeckt die Polizei Flüchtling­e.

Wer im Evros- Gebiet von der Polizei aufgegriff­en wird, kommt in das nahegelege­ne Erstaufnah­melager Fylakio. In dem geschlosse­nen Camp erfolgt die Registrier­ung der Flüchtling­e.

Danach werden den Asylbewerb­ern offene Lager zugewiesen. Die meisten setzen dann ihre Reise in die Mitte Europas fort. Im April war das auf 250 Bewohner angelegte Lager Fylakio heillos überfüllt.

Ioannis Kiourtidis, ein Dorfbewohn­er, wundert sich nicht darüber, dass Flüchtling­e immer wieder berichten, auf der türkischen Seite von den Sicherheit­skräften unbehellig­t geblieben zu sein. „ Die türkischen Grenzer drücken die Augen zu, und die griechisch­en Grenzer halten die Hand auf.“

In Athener Regierungs­kreisen verweist man wiederum darauf, dass das EUTürkei- Flüchtling­sabkommen aus dem Jahr 2015 nur die griechisch­en Inseln, nicht aber die EvrosGrenz­e beinhaltet. Ankara habe wenig Motivation, Flüchtling­e von dieser Grenze auf ähnliche Weise fernzuhalt­en, wie man das an der Ägäisküste tut, mutmaßt man in Athen.

Was auch immer dran sein mag: Funktionie­rt einmal eine Fluchtrout­e wie die über den Evros, dann lässt sie sich ausbauen. Sollten sich etwa die Konflikte in Nahost verschärfe­n, könnte sich der Weg über den Evros bald zu einem Hauptwande­rungsweg entwickeln.

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Die EU- Außengrenz­e Griechenla­nd– Türkei funktionie­rt nicht. Es liegt nicht nur an der Geografie, sondern auch an der Personalst­ruktur in dem Grenzgebie­t. Es ist ein Paradies für Schlepper.
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