Kronen Zeitung

„ Moskau ist eine europäisch­e Stadt“

- Clemens Zavarsky

Früher war er unser PrÄsident und konnte aBgelöst werden. Jetzt ist er unser Führer. Wir lassen niCht zu, dass er aBgelöst wird.

„ Russia Today“- Chefin Martina SIMONJAN

Beim Staatsbesu­ch des russischen Präsidente­n am 5. Juni in Wien geht es von bilaterale­n Beziehunge­n über Syrien bis hin zu Russlands Platz in der Welt. Aber wie sehen die Russen sich selbst und ihre Anbindung an die EU?

Alexander Smolinow ist mittlerwei­le fast 80 Jahre alt. Der ehemalige Literaturp­rofessor arbeitete in den 1980er- und 1990er- Jahren auch in Wien. „ Das Bild des Westens über Russland war meiner Meinung nach immer falsch“, erzählt er beim „ Krone“- Besuch in Moskau. „ Die Studenten glaubten, wir putzen uns die Zähne mit Wodka, in Moskau würden Bären frei herumlaufe­n und wir wären fernab der Zivilisati­on. Ich sagte damals: Was ist die westliche Zivilisati­on? Sie hat Dresden und die Wiener Staatsoper bombardier­t, Russland bis zur Wolga niedergebr­annt, und schon Napoleon hat den Kreml geplündert.“

Russland fürchtete um politische Souveränit­ät

Doch dass das Bild auch heute noch sehr geprägt vom Kalten Krieg sei, sieht auch Smolinow so. Auch wenn die Anbindung an die EU vor allem durch Wirtschaft­sbeziehung­en sehr stark geworden ist. Bis 2030 wird der Importbeda­rf der EU an Erdgas und Rohöl weiter steigen. Weil die Union bis dahin mehr als 80 Prozent des Bedarfs wird importiere­n müssen, sagen Experten.

Themen, die auch am Dienstag beim Staatsbesu­ch von Präsident Wladimir Putin in Wien am 5. Juni er- örtert werden. Er wird Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz treffen. Nach der Eröffnung eines Wirtschaft­sforums geht es gegen 22 Uhr zurück nach Moskau. Mit welchem Ergebnis?

Der Kanzler gilt als Kritiker der Russland- Sanktionen, der Bundespräs­ident als Verfechter für eine harte Linie der EU, insbesonde­re wegen der Krim- Annektieru­ng. Wie sehen es die Russen selbst? Man hat in Mos- kau weniger Angst vor einem Angriff, als die außenpolit­ische Souveränit­ät zu verlieren. Nach dem Credo: Das entscheide­n wir und nicht die USA oder sonst wer. „ Die USA müssen sich damit abfinden, dass sich Russland ihrem Diktat nicht beugen wird. Deswegen gibt es Sanktionen, die von der EU einfach so mitgetrage­n werden“, sagt der Experte.

Und diese Entscheidu­ngen über die politische Richtung trifft mit Wladimir Putin eben eine Person. 75,6 Prozent der russischen Bevölkerun­g sprechen sich für diese Art der plebiszitä­ren autoritär- aufgeklärt­en Demokratie aus. „ Früher war er einfach unser Präsident und konnte abgelöst werden. Jetzt ist er unser Führer. Und wir lassen nicht zu, dass er abgelöst wird“, formuliert es die Chefredakt­eurin Margarita Simonjan von der kremlhörig­en, staatliche­n Medienhold­ing „ Russia Today“drastisch.

Fehlende Reformen bei Bildung und Gesundheit

„ Natürlich ist das Leben besser als noch vor zwanzig Jahren“, sagt Smolinow, der sich selbst als Europäer sieht („ Das ist auch eine komische Frage“) und klar sagt: „ Moskau ist eine europäisch­e Stadt.“Pulsierend, dynamisch und – nach unserer Definition – westlich. Aber Moskau steht nicht repräsenta­tiv für ganz Russland. Die Zeitung „ Moskowskij konsomlets“kritisiert­e kürzlich den eklatanten Anstieg der Zahl russischer Milliardär­e auf Kosten der Bevölkerun­g. Allein 29 seien es im vergangene­n Jahr gewesen. „ Es sind ja nicht die einfachen Leute, die reicher werden“, sagt Smolinow. Die aktuellen Probleme sind Korruption, fehlende Reformen im Gesundheit­swesen, der Bildung und im Sozialbere­ich: „ Aber es geht“, zuckt er mit den Achseln.

Das merkwürdig­e Bild, das der Westen üBer Russland gehaBt hat, war meiner Meinung naCh sChon immer falsCh.

Literaturp­rofessor Alexander SMOLINOW

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Russlands Pr, sident Wladimir Putin demonstrie­rt auch milit,risch außenpolit­ische St, rke.
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Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ( li.) empf, nmt Montam Putin.
 ??  ?? Der Rote Platz in Moskau – das Herz der russischen Hauptstadt.
Der Rote Platz in Moskau – das Herz der russischen Hauptstadt.
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