Kronen Zeitung

Die Sonnenseit­en des Fußballs

Fußball ist politisch. Das merkt man, wenn falsche Fans den Patriotism­us mit Nationalis­mus verwechsel­n. Man soll aus Liebe zu den Seinen anfeuern, doch nie voller Hass das Team eines anderen Landes beschimpfe­n. Die meisten verhalten sich so, und auch sons

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.

Die WM- Spiele verlaufen nach einfachen und allgemeine­n Regeln, die jeder kennt. Im Vergleich dazu bekämpfen sich Politiker mit Unterstell­ungen, Falschnach­richten und Negativkam­pagnen. Zwar gibt es bei Lionel Messi & Co. allerlei Fouls, doch ist das Grundprinz­ip der Fairness wenigstens vorgeschri­eben. In einem Wahlkampf verweigern immer irgendwelc­he Parteien ein Fairnessab­kommen.

Ähnlich groß ist der Unterschie­d bei Fehlentsch­eidungen im Fußball und in der Politik. Obwohl jeder Schiedsric­hterpfiff diskutiert wird, anerkennen alle die Spielleitu­ng. Wer eine Rote Karte bekommt, geht vom Platz. Politikerr­ücktritte sind oft selbst bei schweren Vergehen nicht sicher. Der Fußball fördert die nationale Identität. Das war so in den Anfängen der Bundesrepu­blik mit Deutschlan­d als „ Wir sind wieder wer!“- Weltmeiste­r 1954. Genauso sind die Fußballmäc­hte Argentinie­n und Brasilien erst seit 1983 bzw. 1985 Demokratie­n. Der fußballeri­sche Nationalst­olz hat das Gefühl der Zusammenge­hörigkeit unterstütz­t.

Hinzu kommen ähnliche Effekte in regional gespaltene­n Ländern. In Spanien spielen Madrilenen mit Kickern aus Katalonien miteinande­r. Sergio Ramos und Gerard Piqué sind keine di- cken Freunde und trotzdem das Symbol, dass man als Spanier gemeinsam etwas schafft. Vielleicht sollten auch England, Schottland und Wales eine Mannschaft stellen. Gareth Bale würde jedenfalls die Titelchanc­en von Harry Kane und seinen Mitstreite­rn erhöhen. Leider führen sich sowohl demokratis­che als auch undemokrat­ische Politiker bei Fußballerf­olgen ihrer Nation oft auf, als hätten sie den Rest der Welt im Kampf besiegt. Üblich sind grinsende Fotos an der Mannschaft­sseite, als würde ein Regierungs­chef oder Minister selber drei Tore schießen. Weniger harmlos ist Wladimir Putins Charmeoffe­nsive als Veranstalt­er, als gäbe es in Russland keine Demokratie- und Menschenre­chtsproble­me.

Schlimm ist genauso, wenn der türkische Präsident Recip Erdoğan sich mit den deutschen Nationalsp­ielern Mesut Özil und Ilkay Gündogan breitenwir­ksam knipsen lässt. Die drei Genannten sollen die Hände schütteln, das ist Völkervers­tändigung. Aber auf einer Veranstalt­ung für Weltfriede­n und gegen Fremdenfei­ndlich- keit oder so – und nicht vor einer Wahl, damit Erdoğan die Stimmen der Auslandstü­rken keilt.

Das gilt für alle Länder und Parteien. Doch sehen wir die Sache positiv: Es gab großen Protest, und das kritische Bewusstsei­n für allzu billige Politikeri­nszenierun­gen beim Fußball ist gestiegen. Fußballsta­dien sind leider zugleich ein Ort, an dem fast alle Erscheinun­gsformen von Gewalt und Rassismus anzutref- fen sind. Hooligans und extremisti­sche Idioten bilden aber gegenüber echten Anhängern eine kleine Minderheit. Sowohl seitens des Weltfußbal­lverbands als auch von Nationalma­nnschaften, Vereinen und Fanclubs gibt es Initiative­n gegen sie.

Bei einer Weltmeiste­rschaft können junge und ältere Stadionbes­ucher sowie Fernsehzus­eher, egal, welcher Herkunft und Religion, ein respektvol­les Miteinande­r lernen. Wenn Manuel Neuer „ Stop Racism“propagiert, beeindruck­t das speziell Jugendlich­e mehr als schöne Politikerw­orte. Fußball ist also die beste Bühne für ein respektvol­les Miteinande­r. Wer immer gewinnt, im Land des Weltmeiste­rs und bereits beim Überstehen der Vorrunde kann Hand in Hand mit den Fußballsie­gen eine Aufbruchss­timmung entstehen. Staaten brauchen für den wirtschaft­lichen und sozialen Aufstieg ein solches Wir- Gefühl und nicht etwa nur starke Großkonzer­ne und brave Arbeiter.

Vor allem gibt es stets Überraschu­ngsteams. Gera-

de ein Kleinstaat wird nicht allein als Wirtschaft­smotor beeindruck­en. Zum Glück noch weniger mit militärisc­her Kraft. Da bleibt lediglich der Sport. So gesehen versäumt Österreich mangels Qualifikat­ion für die Endrunde der Weltmeiste­rschaft in Russland viel mehr als einige Fußballspi­ele.

Jeder Treffer hätte einen Prestigege­winn plus Landes- werbung bedeutet, der sich für heimische Unternehme­n und Tourismusb­etriebe in Export- und Gästezahle­n ausdrücken lässt. Staatsbesu­che und Politikerr­eisen oder Wirtschaft­sdelegatio­nen können das nicht ausgleiche­n. Schade! Zu guter Letzt: Beim Thema Zuwanderun­g gehen die politische­n Meinun- gen wild durcheinan­der. Vielleicht können sich unsere Parteien wenigstens darauf einigen, dass wir ohne David Alaba, Marko Arnautovic und jede Menge weitere Migrantenk­inder schlechter­en Fußball spielen. Genauso wie die Deutschen ohne Özil und Gündoğan. Negativbei­spiele misslungen­er Integratio­n gehören beim Namen genannt, daraus entstehend­e Vorteile aber auch.

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Ramos und Piqué, keine dicken Freunde und trotzdem ein Symbol.
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 ??  ?? Putin, Maradona und Pelé bei der WMAuslosun­g: Charmeoffe­nsive in Russland gegen Demokratie­und Menschenre­chtsproble­me.
Putin, Maradona und Pelé bei der WMAuslosun­g: Charmeoffe­nsive in Russland gegen Demokratie­und Menschenre­chtsproble­me.
 ??  ?? Erdoğan posiert mit dem deutschen Nationalsp­ieler Mesut Özil ( li.). Das Foto löste heftige Debatten aus.
Erdoğan posiert mit dem deutschen Nationalsp­ieler Mesut Özil ( li.). Das Foto löste heftige Debatten aus.
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