Die Sonnenseiten des Fußballs
Fußball ist politisch. Das merkt man, wenn falsche Fans den Patriotismus mit Nationalismus verwechseln. Man soll aus Liebe zu den Seinen anfeuern, doch nie voller Hass das Team eines anderen Landes beschimpfen. Die meisten verhalten sich so, und auch sons
Die WM- Spiele verlaufen nach einfachen und allgemeinen Regeln, die jeder kennt. Im Vergleich dazu bekämpfen sich Politiker mit Unterstellungen, Falschnachrichten und Negativkampagnen. Zwar gibt es bei Lionel Messi & Co. allerlei Fouls, doch ist das Grundprinzip der Fairness wenigstens vorgeschrieben. In einem Wahlkampf verweigern immer irgendwelche Parteien ein Fairnessabkommen.
Ähnlich groß ist der Unterschied bei Fehlentscheidungen im Fußball und in der Politik. Obwohl jeder Schiedsrichterpfiff diskutiert wird, anerkennen alle die Spielleitung. Wer eine Rote Karte bekommt, geht vom Platz. Politikerrücktritte sind oft selbst bei schweren Vergehen nicht sicher. Der Fußball fördert die nationale Identität. Das war so in den Anfängen der Bundesrepublik mit Deutschland als „ Wir sind wieder wer!“- Weltmeister 1954. Genauso sind die Fußballmächte Argentinien und Brasilien erst seit 1983 bzw. 1985 Demokratien. Der fußballerische Nationalstolz hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit unterstützt.
Hinzu kommen ähnliche Effekte in regional gespaltenen Ländern. In Spanien spielen Madrilenen mit Kickern aus Katalonien miteinander. Sergio Ramos und Gerard Piqué sind keine di- cken Freunde und trotzdem das Symbol, dass man als Spanier gemeinsam etwas schafft. Vielleicht sollten auch England, Schottland und Wales eine Mannschaft stellen. Gareth Bale würde jedenfalls die Titelchancen von Harry Kane und seinen Mitstreitern erhöhen. Leider führen sich sowohl demokratische als auch undemokratische Politiker bei Fußballerfolgen ihrer Nation oft auf, als hätten sie den Rest der Welt im Kampf besiegt. Üblich sind grinsende Fotos an der Mannschaftsseite, als würde ein Regierungschef oder Minister selber drei Tore schießen. Weniger harmlos ist Wladimir Putins Charmeoffensive als Veranstalter, als gäbe es in Russland keine Demokratie- und Menschenrechtsprobleme.
Schlimm ist genauso, wenn der türkische Präsident Recip Erdoğan sich mit den deutschen Nationalspielern Mesut Özil und Ilkay Gündogan breitenwirksam knipsen lässt. Die drei Genannten sollen die Hände schütteln, das ist Völkerverständigung. Aber auf einer Veranstaltung für Weltfrieden und gegen Fremdenfeindlich- keit oder so – und nicht vor einer Wahl, damit Erdoğan die Stimmen der Auslandstürken keilt.
Das gilt für alle Länder und Parteien. Doch sehen wir die Sache positiv: Es gab großen Protest, und das kritische Bewusstsein für allzu billige Politikerinszenierungen beim Fußball ist gestiegen. Fußballstadien sind leider zugleich ein Ort, an dem fast alle Erscheinungsformen von Gewalt und Rassismus anzutref- fen sind. Hooligans und extremistische Idioten bilden aber gegenüber echten Anhängern eine kleine Minderheit. Sowohl seitens des Weltfußballverbands als auch von Nationalmannschaften, Vereinen und Fanclubs gibt es Initiativen gegen sie.
Bei einer Weltmeisterschaft können junge und ältere Stadionbesucher sowie Fernsehzuseher, egal, welcher Herkunft und Religion, ein respektvolles Miteinander lernen. Wenn Manuel Neuer „ Stop Racism“propagiert, beeindruckt das speziell Jugendliche mehr als schöne Politikerworte. Fußball ist also die beste Bühne für ein respektvolles Miteinander. Wer immer gewinnt, im Land des Weltmeisters und bereits beim Überstehen der Vorrunde kann Hand in Hand mit den Fußballsiegen eine Aufbruchsstimmung entstehen. Staaten brauchen für den wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg ein solches Wir- Gefühl und nicht etwa nur starke Großkonzerne und brave Arbeiter.
Vor allem gibt es stets Überraschungsteams. Gera-
de ein Kleinstaat wird nicht allein als Wirtschaftsmotor beeindrucken. Zum Glück noch weniger mit militärischer Kraft. Da bleibt lediglich der Sport. So gesehen versäumt Österreich mangels Qualifikation für die Endrunde der Weltmeisterschaft in Russland viel mehr als einige Fußballspiele.
Jeder Treffer hätte einen Prestigegewinn plus Landes- werbung bedeutet, der sich für heimische Unternehmen und Tourismusbetriebe in Export- und Gästezahlen ausdrücken lässt. Staatsbesuche und Politikerreisen oder Wirtschaftsdelegationen können das nicht ausgleichen. Schade! Zu guter Letzt: Beim Thema Zuwanderung gehen die politischen Meinun- gen wild durcheinander. Vielleicht können sich unsere Parteien wenigstens darauf einigen, dass wir ohne David Alaba, Marko Arnautovic und jede Menge weitere Migrantenkinder schlechteren Fußball spielen. Genauso wie die Deutschen ohne Özil und Gündoğan. Negativbeispiele misslungener Integration gehören beim Namen genannt, daraus entstehende Vorteile aber auch.