Kronen Zeitung

„ Niemand ist von Grund auf fanatisch“

Mit seinem Terror- Mädchen am Ringturm brachte Gottfried Helnwein die Gewalt in unsere Stadt. Ein Interview mit dem weltberühm­ten Schockküns­tler aus Wien.

- MICHAEL POMMER

Ein Mädchen mit Maschinenp­istole, Flammen, Opfer. Was außer Gewalt ist böse wollen Sie uns damit eigentlich sagen, Herr Helnwein?

Das Thema lautete 100 Jahre Republik. Da habe ich mir gedacht, dass ich zeigen will, wie die Welt aussieht nach diesen 100 Jahren. Das ist nicht so offensicht­lich, wenn man hier in Wien lebt, weil alles unglaublic­h sicher und gesichert ist. Diese Kriege scheinen wahnsinnig weit entfernt, in Wahrheit ist der größte Teil der Welt in einem gigantisch­en Konflikt. Ich wollte auf diese Omnipräsen­z der Gewalt aufmerksam machen. Auch in Computersp­ielen, in der Unterhaltu­ng, in allen Bereichen wachsen Kinder mit Gewalt auf. Es ist cool heutzutage, wenn in Filmen Leute erschossen werden, es gibt ja kaum noch Helden ohne Waffen. Zu unterschei­den zwischen der virtuellen, erfundenen, fiktiven und der richtigen Gewalt ist für Kinder oder Jugendlich­e heutzutage schwer.

Nun haben Kommunikat­ionsforsch­er und Psychologe­n aus den USA herausgefu­nden: „ Sind Kinder in Filmen oder anderen Medien Schießerei­en oder Waffengewa­lt ausgesetzt, sind sie auch im richtigen Leben neugierige­r auf Pistolen und Gewehre und wollen damit spielen.“Ist das ein hinnehmbar­er Kollateral­schaden Ihrer RingturmKu­nst?

Kunst ist nie ein Kollateral­schaden. Kunst gibt den Menschen die Möglichkei­t, den Totentanz, in dem sie sich befinden, von außen zu sehen. Das ist der Sinn der Werke Goyas, wenn er die Gräuel des Krieges beschreibt, oder wenn uns Shakespear­e mit Macbeth vor Augen führt, wie Machtgier in den Wahnsinn führen kann.

Wo wären für Sie in der Kunst die Grenzen? Hätten Sie auch ein totes Mädchen plakatiert?

Ich sehe das Problem der Grenze nicht. Es gibt natürlich Bilder, von denen ich genau weiß, das würde zu weit gehen, das würde den Zweck verfehlen. Ich mache das ja nicht für mich als Therapie, das ist eine Art der Kommunikat­ion. Kunst muss aber grundsätzl­ich immer frei sein. Es ist die Verantwort­ung des Künstlers zu entscheide­n, was er zeigt.

Ein paar flapsige Kommentare, ein bisschen Kritik von der Straße und auf Facebook, sonst hielt sich die Empörung über die Ringturm- Kunst in Grenzen. Haben wir uns an Terrorbild­er gewöhnt?

Die Reaktion ist sogar sehr positiv, es sprechen mich immer wieder Leute an und bedanken sich dafür. Für mich ist das immer so bei Ausstellun­gen, wenn Menschen emotional reagieren auf meine Arbeiten, dann habe ich das Gefühl, meine Kunst ist angekommen.

Was glauben Sie denken Kinder, wenn sie die Bilder sehen?

Das ist eine Frage, die Erwachsene immer gerne stellen, wenn sich die Kunst mit dieser Thematik beschäftig­t. Dabei sind Kinder heute in der Regel von klein an, durch Medien, Computersp­iele und Internet, Darstellun­gen von Gewalt ausgesetzt wie nie zuvor. Damit scheint kaum jemand ein Problem zu haben.

Die meiste Gewalt erleben Kinder sowieso im eigenen Zuhause. Nicht die Maschinenp­istole ist die größte Gefahr, es ist die Familie.

Das war auch der Grund, warum ich begonnen habe, verwundete und ban- dagierte Kinder zu zeigen, und beschlosse­n habe, Künstler zu werden. Bei meinen Recherchen habe ich gerichtsme­dizinische Fotos von Kindern gesehen, die zu Tode gefoltert wurden. Aber nicht im Krieg, sondern im eigenen Familienkr­eis. Gewalt gegen Kinder ist für mich das Extremste an menschlich­er Entgleisun­g. Deswegen war das für mich ein so wichtiges Thema. Spätestens dann muss sich jeder Mensch, der nicht wahnsinnig ist, betroffen fühlen.

Da muss schon sehr viel passieren, wenn Kinder anfangen, Kinder zu morden. Wenn es regelmäßig passiert, ist es ein Anzeichen, dass die Gesellscha­ft am Ende ist. Gottfried Helnwein

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Terror, Waffen, Flammen, Anvst – und dasmitten in unserer Stadt.
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B ITTE B LÄTTERN SIE UM
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