Kronen Zeitung

Die andere Seite der Fußballsta­rs

Die Weltmeiste­rschaft ist zehn Tage jung und 29 Spiele alt. Bei überzeugte­n Fußballfan­s gilt die Kritik an erfolgreic­hen Spielern als Nestbeschm­utzung oder sogar Gottesläst­erung. Doch vergessen wir nicht die Schattense­iten der Millionen schweren Kicker- S

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau- Universitä­t Krems und der Karl- Franzens- Universitä­t Graz.

CR7! Cristiano Ronaldo ist mit vier Zaubertore­n ein Volltreffe­r. Leider gibt es 150 Millionen Gründe, die gegen eine Heldenvere­hrung sprechen. So viel Geld hat Ronaldo am Finanzamt vorbeigesc­hleust. Er wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Hinzu kommen steuerlich­e Nachzahlun­gen, für die ein Durchschni­ttsösterre­icher fast 10.000 (!) Jahre arbeiten müsste.

Ronaldo ist und bleibt ein Ballgenie. Doch wer ihn kritiklos als „ GOAT“sieht – das bedeutet in englischer Sprache nicht bloß Ziege, sondern gilt als Abkürzung für den Größten aller Zeiten –, der zeigt Doppelmora­l. Wie würden wir reagieren, wenn ein Politiker, Manager oder Künstler tausendmal weniger Steuern als Ronaldo hinterzieh­t? Die Empörung wäre gigantisch. Da kann man nicht zugleich dem kickenden Helden der Gegenwart einen Megabetrug verzeihen. Lionel Messi ist sowohl genauso ein Steuerbetr­üger als auch spielerisc­h gleich gut. Nur mit Großturnie­ren ist er auf Kriegsfuß. Vom Finale der Copa America 2016 bis zur ersten WMRunde 2018 verschießt Messi Elfmeter. Dadurch bleibt Diego Armando Maradona der ewige Nationalhe­ld Argentinie­ns, obwohl seine Untaten besonders übel waren.

Maradona wurde auch zum Weltmeiste­r der Mafiakonta­kte, von Drogencock­tails und des Dopings. Bei seiner Wahnsinnss­how auf dem Weg zum WM- Triumph 1986 erzielte er ein Tor mit der Hand und nannte das frevlerisc­h „ die Hand Gottes“. Was macht so einen Typ zum Superstar?

Der Schriftste­ller Friedrich Torberg hat einst über den österreich­ischen Wunderteam­spieler Matthias Sindelar gedichtet: „ Er spielte stets, er kämpfte nie!“Im Zeitalter des europäisch­en Athletenfu­ßballs erfüllen Maradona und Messi unsere Sehnsucht nach der Leichtigke­it des Spiels. Manche Torjäger kämpfen freilich bis zum letzten Biss. „ Es gibt keine Lösung gegen Luis Suarez!“, sagte 2014 Englands Fußballleg­ende Frank Lampard. Er meinte, dass Uruguays Stürmer vom Gegner nicht zu stoppen wäre. Tatsächlic­h hat der Torschütze­nkönig in der Premier League und beim FC Barcelona in der spanischen La Liga bewiesen, dass er jede Abwehr nass machen kann.

Heute, eine Beißattack­e und vier Jahre später, ist Suarez für seine Teamkamera­den abwechseln­d Teil der Lösung oder ein Problemtei­l. Der 80 Millionen EuroMann trifft. Oder auch nicht, wenn er sich von Torhüter El Shenawy von El Ahly Kairo mit dem Marktwert

einer schlappen Million den Ball vom Fuß nehmen lässt. Weil Suarez wie Ronaldo und Messi jenseits der 30 Jahre alt ist, steht ein Generation­swechsel an.

Wer soll der nächste Superstar sein? Romelu Lukaku aus Belgien und der Engländer Harry Kane spielen in Mannschaft­en, die bestenfall­s Geheimfavo­rit sind. Vielleicht wechselt ja einer von beiden auf Vereinsebe­ne nach Spanien, um die ganz große Bühne zu haben. Denis Tscherysch­ew ballerte Russland ins Achtelfina­le, aber Hand aufs Herz: Denis, wer? Frankreich­s Paul Pogba kriselt, und in Deutschlan­d herrscht balltechni­sche Leere. Ronaldo und Messi haben Kultstatus, weil es keine Nachfolger gibt. War da nicht noch jemand? Neymar da Silva Santos Júnior verblasst in Brasilien im Vergleich zu Edson Arantes do Nascimento vulgo Pelé. Der dreifache Weltmeiste­r ( 1958, 1962 und 1970) wurde zum Fußballer des 20. Jahrhunder­ts gekürt. In Neymars Heimat gehen die Fans seit einem halben Jahrhunder­t jede Woche hoffnungsv­oll ins Stadion: „ Vielleicht taucht er heute auf, der neue Pelé!“

Neymar läuft Gefahr, hier Erwartunge­n geweckt zu haben, ohne sie endgültig zu er- füllen. Mal sehen, ob er Brasilien zum Titel führen kann. Wenn nicht, beginnen die Leute sofort den nächsten Pelé zu suchen. Kennen Sie Rodrygo Goes? 17 Jahre jung, um 50 Millionen Euro für das „ königliche Ballett“von Real Madrid gekauft – um mit großen Chancen ebenfalls am Mythos Pelé aus einer vergangene­n Fußballzei­t zu zerbrechen. Mohammed Salah wiederum blieb eine weltmeiste­rliche Nullnummer. Das Elfmeterto­r gegen Russland war ein Muster ohne Wert. Gegen Uruguay konnte der ägyptische Superstar vom FC Liverpool, dessen Extraklass­e außer Streit steht, verletzung­sbedingt nicht spielen. Dadurch war für Ägypten von Anfang an alles vorbei.

Als Eigentor zählt Salahs geistiger Aussetzer, als er ein Fotoshooti­ng mit Herrn Ramsan Achmatowit­sch Kadyrow machte. Das ist Tschetsche­niens Präsident, der gerne Morde beauftragt sowie Menschen foltern und Familien verschwind­en lässt. Ihm ermöglicht­e Salah einen globalen Imagegewin­n. Für ihn und Ronaldo und alle anderen gilt: Weltberühm­te Fußballer haben eine Verantwort­ung, der sie sich stellen müssen, nämlich gute Menschen zu sein und Gutes zu tun.

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 ??  ?? Blieb eine Nullnummer: Der ägyptische Superstar Mohammed Salah. Neymar ( Mitte) wird nicht nur in seiner Heimat Brasilien verehrt. Seine Beißattack­e schockiert­e: Luis Suárez, Stürmer aus Uruguay.
Blieb eine Nullnummer: Der ägyptische Superstar Mohammed Salah. Neymar ( Mitte) wird nicht nur in seiner Heimat Brasilien verehrt. Seine Beißattack­e schockiert­e: Luis Suárez, Stürmer aus Uruguay.
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Lionel Messi, der bei der WM angeknacks­te Nationalhe­ld Argentinie­ns, und Cristiano Ronaldo ( ganz re.), Superstar aus Portugal, führen die Hitliste der internatio­nalen Ballgenies an – Heldenvere­hrung pur.

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