Die andere Seite der Fußballstars
Die Weltmeisterschaft ist zehn Tage jung und 29 Spiele alt. Bei überzeugten Fußballfans gilt die Kritik an erfolgreichen Spielern als Nestbeschmutzung oder sogar Gotteslästerung. Doch vergessen wir nicht die Schattenseiten der Millionen schweren Kicker- S
CR7! Cristiano Ronaldo ist mit vier Zaubertoren ein Volltreffer. Leider gibt es 150 Millionen Gründe, die gegen eine Heldenverehrung sprechen. So viel Geld hat Ronaldo am Finanzamt vorbeigeschleust. Er wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Hinzu kommen steuerliche Nachzahlungen, für die ein Durchschnittsösterreicher fast 10.000 (!) Jahre arbeiten müsste.
Ronaldo ist und bleibt ein Ballgenie. Doch wer ihn kritiklos als „ GOAT“sieht – das bedeutet in englischer Sprache nicht bloß Ziege, sondern gilt als Abkürzung für den Größten aller Zeiten –, der zeigt Doppelmoral. Wie würden wir reagieren, wenn ein Politiker, Manager oder Künstler tausendmal weniger Steuern als Ronaldo hinterzieht? Die Empörung wäre gigantisch. Da kann man nicht zugleich dem kickenden Helden der Gegenwart einen Megabetrug verzeihen. Lionel Messi ist sowohl genauso ein Steuerbetrüger als auch spielerisch gleich gut. Nur mit Großturnieren ist er auf Kriegsfuß. Vom Finale der Copa America 2016 bis zur ersten WMRunde 2018 verschießt Messi Elfmeter. Dadurch bleibt Diego Armando Maradona der ewige Nationalheld Argentiniens, obwohl seine Untaten besonders übel waren.
Maradona wurde auch zum Weltmeister der Mafiakontakte, von Drogencocktails und des Dopings. Bei seiner Wahnsinnsshow auf dem Weg zum WM- Triumph 1986 erzielte er ein Tor mit der Hand und nannte das frevlerisch „ die Hand Gottes“. Was macht so einen Typ zum Superstar?
Der Schriftsteller Friedrich Torberg hat einst über den österreichischen Wunderteamspieler Matthias Sindelar gedichtet: „ Er spielte stets, er kämpfte nie!“Im Zeitalter des europäischen Athletenfußballs erfüllen Maradona und Messi unsere Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Spiels. Manche Torjäger kämpfen freilich bis zum letzten Biss. „ Es gibt keine Lösung gegen Luis Suarez!“, sagte 2014 Englands Fußballlegende Frank Lampard. Er meinte, dass Uruguays Stürmer vom Gegner nicht zu stoppen wäre. Tatsächlich hat der Torschützenkönig in der Premier League und beim FC Barcelona in der spanischen La Liga bewiesen, dass er jede Abwehr nass machen kann.
Heute, eine Beißattacke und vier Jahre später, ist Suarez für seine Teamkameraden abwechselnd Teil der Lösung oder ein Problemteil. Der 80 Millionen EuroMann trifft. Oder auch nicht, wenn er sich von Torhüter El Shenawy von El Ahly Kairo mit dem Marktwert
einer schlappen Million den Ball vom Fuß nehmen lässt. Weil Suarez wie Ronaldo und Messi jenseits der 30 Jahre alt ist, steht ein Generationswechsel an.
Wer soll der nächste Superstar sein? Romelu Lukaku aus Belgien und der Engländer Harry Kane spielen in Mannschaften, die bestenfalls Geheimfavorit sind. Vielleicht wechselt ja einer von beiden auf Vereinsebene nach Spanien, um die ganz große Bühne zu haben. Denis Tscheryschew ballerte Russland ins Achtelfinale, aber Hand aufs Herz: Denis, wer? Frankreichs Paul Pogba kriselt, und in Deutschland herrscht balltechnische Leere. Ronaldo und Messi haben Kultstatus, weil es keine Nachfolger gibt. War da nicht noch jemand? Neymar da Silva Santos Júnior verblasst in Brasilien im Vergleich zu Edson Arantes do Nascimento vulgo Pelé. Der dreifache Weltmeister ( 1958, 1962 und 1970) wurde zum Fußballer des 20. Jahrhunderts gekürt. In Neymars Heimat gehen die Fans seit einem halben Jahrhundert jede Woche hoffnungsvoll ins Stadion: „ Vielleicht taucht er heute auf, der neue Pelé!“
Neymar läuft Gefahr, hier Erwartungen geweckt zu haben, ohne sie endgültig zu er- füllen. Mal sehen, ob er Brasilien zum Titel führen kann. Wenn nicht, beginnen die Leute sofort den nächsten Pelé zu suchen. Kennen Sie Rodrygo Goes? 17 Jahre jung, um 50 Millionen Euro für das „ königliche Ballett“von Real Madrid gekauft – um mit großen Chancen ebenfalls am Mythos Pelé aus einer vergangenen Fußballzeit zu zerbrechen. Mohammed Salah wiederum blieb eine weltmeisterliche Nullnummer. Das Elfmetertor gegen Russland war ein Muster ohne Wert. Gegen Uruguay konnte der ägyptische Superstar vom FC Liverpool, dessen Extraklasse außer Streit steht, verletzungsbedingt nicht spielen. Dadurch war für Ägypten von Anfang an alles vorbei.
Als Eigentor zählt Salahs geistiger Aussetzer, als er ein Fotoshooting mit Herrn Ramsan Achmatowitsch Kadyrow machte. Das ist Tschetscheniens Präsident, der gerne Morde beauftragt sowie Menschen foltern und Familien verschwinden lässt. Ihm ermöglichte Salah einen globalen Imagegewinn. Für ihn und Ronaldo und alle anderen gilt: Weltberühmte Fußballer haben eine Verantwortung, der sie sich stellen müssen, nämlich gute Menschen zu sein und Gutes zu tun.