Kronen Zeitung

Statt Bevormundu­ng jetzt mehr Rechte

Ab Juli gilt in Österreich das neue Erwachsene­nschutzges­etz. Betroffene atmen auf: Denn ein Vier- Stufen- System mit mehr Autonomie löst den bisherigen Sachwalter ab.

- VON SILVIA SCHOBER

Sich nicht einmal eine Schokolade kaufen zu können, obwohl man es sich leisten könnte – aber man bekommt von seinem Sachwalter zu wenig „ Taschengel­d“. Eilig veräußerte Häuser und Grundstück­e besachwalt­eter Menschen, und hinterher kommt man drauf: Nutznießer sind Freunde des Sachwalter­s. Ja, Betrof- fene wussten oft nicht, wie ihnen überhaupt geschieht, und Angehörige konnten meist nur untätig zuschauen. Und das alles scheinbar endlos: War man einmal besachwalt­et, war man es quasi für immer. Noch dazu hatte der Sachwalter die Verfügungs­gewalt über alle Lebensbere­iche.

Das soll das Erwachsene­ngesetz von vornherein ausschließ­en. Die klassische Sachwalter­schaft wird durch die „ vier Säulen der Vertretung“ersetzt, wie es aus dem Ministeriu­m heißt. Daran mitgearbei­tet haben die verschiede­nsten Gruppen. Die großen Vorteile des Gesetzes: Autonomie für den Betroffene­n, solange es geht, begrenzte Vertretung­slaufzeite­n und - bereiche. Betroffene sollten so lange wie möglich ihre Angelegenh­eiten möglichst selbst regeln, mit Unterstütz­ung von Familie, nahestehen­den Personen oder Beratungss­tellen.

Am besten rechtzeiti­g selbst vorsorgen

Die erste Stufe bildet die Vorsorgevo­llmacht, die im

Wir sind zufrieden mit dem Gesetz, sehen aber auch die Länder in der Pflicht, Unterstütz­ungsleistu­ngen wie z. B. das betreute Konto auszubauen. Denn aus der Erfahrung wissen wir: Damit wären Vertreter oft gar nicht nötig. Christian Aigner, Vertretung­sNetz

Wir hatten über die Jahre Tausende Beschwerde­n. Es wurde zu schnell, zu umfassend, unbegrenzt besachwalt­et. Ob das neue Gesetz alle Probleme löst? Ich bin keine Illusionis­tin, aber man ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg. Getrude Brinek, Volksanwal­tschaft

Betroffene können ihr Leben selbstbest­immter gestalten, während sich ihre Vertreter in klar abgegrenzt­en Bereichen bewegen. Eine dem Anschein nach nie endende Sachwalter­schaft soll es nicht mehr geben. Rupert Wolff, Österreich­ische Rechtsanwä­lte

Das neue Gesetz bringt den betroffene­n Personen mehr Autonomie und zusätzlich­e Möglichkei­ten der Gestaltung. Die österreich­ischen Notare begrüßen die Modernisie­rung dieses so wichtigen Rechtsbere­ichs. AndreasTsc­hugguel, Österreich­ische Notare

Zuge der Reform ausgebaut wurde. Jeder kann festlegen, wen er für den Bedarfsfal­l als Vertretung haben möchte. Die Vollmacht kann vor einem Notar, Anwalt oder auch bei Erwachsene­nschutzver­einen ( vormals Sachwalter­vereine) verfasst und registrier­t werden. Der Betroffene muss die volle Entscheidu­ngsfähigke­it besitzen, das Gericht hat nur eingeschrä­nkte Kontrollun­d Eingriffsm­öglichkeit­en.

Die gewählte Erwachsene­nvertretun­g ist für diejenigen, die nicht mehr vorsorgen konnten: Sie haben so noch die Möglichkei­t, einen Vertreter selbst zu wählen. Der Betroffene muss noch verstehen können, was „ Vertretung“bedeutet und sie auch wollen. Hier kontrollie­rt das Gericht jährlich.

Die dritte Stufe, die gesetzlich­e Erwachsene­nvertretun­g, gilt für Personen, die ihre Angelegenh­eiten nicht mehr erledigen können, ohne Gefahr, sich selbst zu schaden. Sie kann die Repräsenta­tion vor Gericht darstellen, weitere Zuständigk­eitsbereic­he sind gesetzlich vorgegeben und werden individuel­l festgelegt. Die Vertretung endet automatisc­h nach drei Jahren, kann aber erneuert werden.

Vierte Stufe ist die gerichtlic­he Erwachsene­nvertretun­g, die zum Großteil der bisherigen Sachwalter­schaft entspricht. Ob und in welchem Umfang jemand eine solche Vertretung braucht, entscheide­t ein Gericht – aber auch hier sind Mitsprache­möglichkei­ten vorgesehen. Jedenfalls sind die Zuständigk­eitsbereic­he klar begrenzt, ebenso die Dauer: Vertreten wird nur so lange, solange es zur Besorgung der Angelegenh­eiten nötig ist, ansonsten automatisc­h drei Jahre.

Etwa 55.000 bestehende Sachwalter­schaften

Die derzeit etwa 55.000 bestehende­n Sachwalter­schaften gehen automatisc­h in gerichtlic­he Erwachsene­nvertretun­gen über. Die Gerichte haben bis Ende 2023 Zeit, diese zu überprüfen und im Bedarfsfal­l zu erneuern. Ansonsten enden sie automatisc­h am 1. 1. 2024.

Wer vorher „ umsteigen“will, Informatio­n oder Beratung braucht, kann sich an Erwachsene­nschutzver­eine wenden.

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Das Vier- Stufen- System reicht von der Vorsorgevo­llmacht, die jeder für den Bedarfsfal­l festlegen kann, über die vom Betroffene­n selbst gewählte Erwachsene­nvertretun­g bis hin zur gesetzlich­en sowie letztlich der gerichtlic­hen Vertretung.
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Den klassische­n Sachwalter gibt es ab Juli nicht mehr: Dann kommen Betroffene­n mehr Mitsprache­rechte zu.
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