Statt Bevormundung jetzt mehr Rechte
Ab Juli gilt in Österreich das neue Erwachsenenschutzgesetz. Betroffene atmen auf: Denn ein Vier- Stufen- System mit mehr Autonomie löst den bisherigen Sachwalter ab.
Sich nicht einmal eine Schokolade kaufen zu können, obwohl man es sich leisten könnte – aber man bekommt von seinem Sachwalter zu wenig „ Taschengeld“. Eilig veräußerte Häuser und Grundstücke besachwalteter Menschen, und hinterher kommt man drauf: Nutznießer sind Freunde des Sachwalters. Ja, Betrof- fene wussten oft nicht, wie ihnen überhaupt geschieht, und Angehörige konnten meist nur untätig zuschauen. Und das alles scheinbar endlos: War man einmal besachwaltet, war man es quasi für immer. Noch dazu hatte der Sachwalter die Verfügungsgewalt über alle Lebensbereiche.
Das soll das Erwachsenengesetz von vornherein ausschließen. Die klassische Sachwalterschaft wird durch die „ vier Säulen der Vertretung“ersetzt, wie es aus dem Ministerium heißt. Daran mitgearbeitet haben die verschiedensten Gruppen. Die großen Vorteile des Gesetzes: Autonomie für den Betroffenen, solange es geht, begrenzte Vertretungslaufzeiten und - bereiche. Betroffene sollten so lange wie möglich ihre Angelegenheiten möglichst selbst regeln, mit Unterstützung von Familie, nahestehenden Personen oder Beratungsstellen.
Am besten rechtzeitig selbst vorsorgen
Die erste Stufe bildet die Vorsorgevollmacht, die im
Wir sind zufrieden mit dem Gesetz, sehen aber auch die Länder in der Pflicht, Unterstützungsleistungen wie z. B. das betreute Konto auszubauen. Denn aus der Erfahrung wissen wir: Damit wären Vertreter oft gar nicht nötig. Christian Aigner, VertretungsNetz
Wir hatten über die Jahre Tausende Beschwerden. Es wurde zu schnell, zu umfassend, unbegrenzt besachwaltet. Ob das neue Gesetz alle Probleme löst? Ich bin keine Illusionistin, aber man ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg. Getrude Brinek, Volksanwaltschaft
Betroffene können ihr Leben selbstbestimmter gestalten, während sich ihre Vertreter in klar abgegrenzten Bereichen bewegen. Eine dem Anschein nach nie endende Sachwalterschaft soll es nicht mehr geben. Rupert Wolff, Österreichische Rechtsanwälte
Das neue Gesetz bringt den betroffenen Personen mehr Autonomie und zusätzliche Möglichkeiten der Gestaltung. Die österreichischen Notare begrüßen die Modernisierung dieses so wichtigen Rechtsbereichs. AndreasTschugguel, Österreichische Notare
Zuge der Reform ausgebaut wurde. Jeder kann festlegen, wen er für den Bedarfsfall als Vertretung haben möchte. Die Vollmacht kann vor einem Notar, Anwalt oder auch bei Erwachsenenschutzvereinen ( vormals Sachwaltervereine) verfasst und registriert werden. Der Betroffene muss die volle Entscheidungsfähigkeit besitzen, das Gericht hat nur eingeschränkte Kontrollund Eingriffsmöglichkeiten.
Die gewählte Erwachsenenvertretung ist für diejenigen, die nicht mehr vorsorgen konnten: Sie haben so noch die Möglichkeit, einen Vertreter selbst zu wählen. Der Betroffene muss noch verstehen können, was „ Vertretung“bedeutet und sie auch wollen. Hier kontrolliert das Gericht jährlich.
Die dritte Stufe, die gesetzliche Erwachsenenvertretung, gilt für Personen, die ihre Angelegenheiten nicht mehr erledigen können, ohne Gefahr, sich selbst zu schaden. Sie kann die Repräsentation vor Gericht darstellen, weitere Zuständigkeitsbereiche sind gesetzlich vorgegeben und werden individuell festgelegt. Die Vertretung endet automatisch nach drei Jahren, kann aber erneuert werden.
Vierte Stufe ist die gerichtliche Erwachsenenvertretung, die zum Großteil der bisherigen Sachwalterschaft entspricht. Ob und in welchem Umfang jemand eine solche Vertretung braucht, entscheidet ein Gericht – aber auch hier sind Mitsprachemöglichkeiten vorgesehen. Jedenfalls sind die Zuständigkeitsbereiche klar begrenzt, ebenso die Dauer: Vertreten wird nur so lange, solange es zur Besorgung der Angelegenheiten nötig ist, ansonsten automatisch drei Jahre.
Etwa 55.000 bestehende Sachwalterschaften
Die derzeit etwa 55.000 bestehenden Sachwalterschaften gehen automatisch in gerichtliche Erwachsenenvertretungen über. Die Gerichte haben bis Ende 2023 Zeit, diese zu überprüfen und im Bedarfsfall zu erneuern. Ansonsten enden sie automatisch am 1. 1. 2024.
Wer vorher „ umsteigen“will, Information oder Beratung braucht, kann sich an Erwachsenenschutzvereine wenden.