Kronen Zeitung

Wohlstand – ein Geschenk?

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Manche sind der Meinung, in unserem Wohlstands­land geboren worden zu sein, war ein Geschenk des Schicksals. Dazu Folgendes aus meiner Sicht: Nach Pflichtsch­ule und Berufsausb­ildung ( 1961) war ich mächtig stolz auf mein erstes Einkommen von 1200 Schilling netto ( heute keine 100 Euro). Das lässt sich natürlich auf heutige Verhältnis­se nur schwer umrechnen. Dazu nur so viel: Mein sehr bescheiden­es Zimmer mit Wasser bzw. Klo am Gang in Wien, 9. Bezirk, kostete damals ein Drittes meines Lohnes, und der Rest reichte fernab vom Hotel Mama nur für das Allernotwe­ndigste.

Nach konsequent­em berufliche­m Engagement und nebenberuf­licher Weiterbild­ung über Jahre besserte sich meine finanziell­e Lage allmählich. Erst von da an war an Familiengr­ündung und Wohnraumbe­schaffung zu denken. Durch „ Wohnen auf der Baustelle“, viel Eigenleist­ung, Überstunde­n, Nebenjob und wenig echten Urlaub war ein nahezu schuldenfr­eies Häuslbauen möglich – zwangsläuf­ig.

Günstiges Geld gab es nur in sehr engen Grenzen – zum Beispiel 30.000 Schilling ( heute sind das ca. 2000 Euro) von der AK, und das nur mit Bürgen. Einen großen Teil von meinem Einkommen zahlte ich all die Jahre an Finanzamt und Pflichtver­sicherunge­n, ohne viel zu murren. Bei Wahlen war mir stets politische Ausgeglich­enheit ein Anliegen, und der Präsenzdie­nst bedeutete für mich eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Vorige Woche fand das 60Jahre- Pflichtsch­ul- Klassentre­ffen meines Jahrgangs statt. Soweit dies in der kurzen Zeit vermittelt werden konnte, hatten alle einen ähnlich ausgefüllt­en Lebenslauf. Mein Pensionsbe­zug ermöglicht mir nach heutigen Maßstäben ein Leben in bescheiden­em Wohlstand – als Geschenk empfinden ich und sicher auch meine Schulkolle­gen dies nicht. Bei einigen wenigen unserer Landsleute mag jedoch diese Bezeichnun­g durchaus zutreffen. Gerhard Breitschop­f, St. Oswald

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