Wie wir Kunst sehen
Kunsthistoriker setzen Eye- Tracker ein, um die Blicke von Museumsbesuchern zu analysieren
Österreichs Museen zählen jährlich weit über fünf Millionen Besucher. Eine Zahl, die von Jahr zu Jahr wächst. Was und wie aber sehen wir, wenn wir Kunstwerke betrachten?
Kunsthistoriker nehmen schon lange an, dass bildende Kunst den Blick lenkt. Überprüft wurde das bisher nicht. Doch jetzt hat Prof. Dr. Raphael Rosenberg am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien das weltweit erste Versuchslabor an einer kunsthistorischen Forschungsstätte gegründet. „ Wir setzen sogenannte Eye- Tracker ein. Das sind Geräte, die mit Infrarotkameras, mobil auf Brillenbügeln montiert oder stationär, Blickbewegungen messen“, so Rosenberg. Diese Messungen ergaben, dass unsere Augen zunächst scheinbar wild das Kunstwerk abscannen, jedoch die wichtigsten Elemente und Strukturen – die „ Komposition“– systematisch wiederholt betrachten. „ Deutlich werden auch Gruppenunterschiede – etwa zwischen Kindern, die sich auf Details konzentrieren, und Erwachsenen, deren Augen deutlich von ihrem Vorwissen gesteuert werden“, so der Kunsthistoriker.
Museen gestalten Räume, damit Besucher Kunstwerke bestmöglich verstehen und genießen können. Man arbeitet an Wandfarbe und Rahmen, prüft die Zusammenstellung der Werke und das Angebot an Information. Wie sich das auswirkt, erforscht Rosenbergs Team derzeit im Belvedere. Über 100 Besucher wurden vergangenen Jänner mit Eye- Trackern ausgestattet. Inzwischen ist die Sammlung, so auch Klimts „ Kuss“, ganz neu aufgestellt. Eine zweite Studie wird demnächst untersuchen, wie die Besucher dieselben Werke unter geänderten Bedingungen betrachten. „ Man wird so sehen, ob eine neue Hängung die erhofften Verbesserungen bewirkt hat und wo eventuell noch Handlungsbedarf besteht. Davon profitiert auch die Wirtschaft, denn wenn es Touristen in Museen gefällt, dann steigt die Zahl der Übernachtungen“, so Prof. Rosenberg.
Was ihn am meisten interessieren würde ist, ob in der heutigen Zeit die Menschen Werke von Michelangelo oder Leonardo ähnlich wie die Zeitgenossen dieser Künstler vor 500 Jahren sehen. „ Aber leider kann ich Blickverläufe aus der Vergangenheit nicht messen“, so Rosenberg. Als Alternative helfe es aber zu verstehen, wie Kunst heute in verschiedenen Kulturkreisen aufgenommen wird. Deswegen sind zum Beispiel Vergleiche der Kunstbetrachtung zwischen Japanern und Österreichern so spannend.
Diese Studien finanziert der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung ( FWF), der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds ( WWTF) sowie die Österreichische Akademie der Wissenschaften ( ÖAW).
In dieser Serie stellen wir Projekte von Spitzenforscherinnen und - forschern in Österreich vor. Ausuewlhlt werden sie von Prof. Dr. Georu Wick vom Biozentrum der Medizinischen Universitlt Innsbruck.
DeutliCh werden AuCh GruppenuntersChiede – etwA zwisChen Kindern, die siCh Auf DetAils konzentrieren, und ErwAChsenen, die deutliCh von ihrem Vorwissen gesteuert werden.
Prof. Dr. Raphael Rosenberg