Der Staat, den es nicht gibt . . .
CHRISTIAN HAUNSTEIN
Scharfschützen, die kleinen Kindern beim Fußballspielen in den Kopf schießen, Granaten, die junge Mütter beim Wasserholen zerfetzen, alte Männer, die auf der Straße von einer Kugel getroffen werden, eilig ausgehobene Gräber mitten in der Stadt.
Das war Sarajewo während der 1425 Tage dauernden Belagerung im Bosnienkrieg in der ersten Hälfte der 90er- Jahre. Die Belagerung war nur eines der schrecklichen Ereignisse dieser Zeit.
Der Völkermord von Srebrenica, bei dem serbische Killerkommandos unter Ratko Mladic rund 8000 männliche bosnische Moslems abgeschlachtet haben, war das blutigste Massaker auf dem Boden des heutigen Staates Bosnien und Herzegowina, zu dem neben der bosnisch- kroatischen Föderation auch die sogenannte Entität Republika Srpska gehört.
Abgesegnet wurde das Staatengebilde im Vertrag von Dayton, der das nach 100.000 Todesopfern ausgeblutete Land zwar nach außen hin befriedet, aber auch die politische Trennung von Bosniaken, Serben und Kroaten festgeschrieben hat. Mit einem dreiköpfigen ( und dreiethnischen) Staatspräsidium, Parlamenten in den beiden Entitäten sowie ethnisch getrennten Präsidenten und auch Parlamenten in den zehn Kantonen wurden außerdem ein Demokratie- Monster erschaffen, das jegliches Regieren unmöglich macht. Und so bewarben sich bei den gestrigen Wahlen insgesamt 7500 Kandidaten für 650 Ämter.
Und so war der Ausgang der Wahlen völlig nebensächlich. Denn in den Köpfen vieler seiner Bewohner herrscht immer noch Krieg, aufgepeitscht von nationalistischen Politikern. Die Schlächter und Kriegsverbrecher der einen Seite werden von der anderen Seite als Helden verehrt. Das Land ist zerfressen von Korruption, mafiösen Strukturen, Job- und Perspektivlosigkeit.
Kroaten und Bosnier ( so diese sich nicht in den von SaudiArabien finanzierten Koranschulen radikalisieren lassen) zieht es in Richtung EU, die Serben wollen die Unabhängigkeit und bauen ( noch) auf die Unterstützung Moskaus.
Bosnien und Herzegowina ist damit ein Staat, der zwar auf dem Papier steht, den es so aber eigentlich gar nicht gibt. Nicht in den Herzen der Menschen, die dort leben.