Als Böhmen noch bei Österreich war. . .
Mit dem Ende der Monarchie 1918 fielen die Kronländer Böhmen und Mähren an die neue Tschechoslowakei – mit weitreichenden Folgen für dort lebende 3,5 Millionen Altösterreicher.
Fast 1000 Jahre lang lebten auf dem Gebiet des heutigen Tschechien deutschsprachige Siedler. Ab 1804 waren diese 3,5 Millionen Menschen Bürger des Kaisertums Österreich. Sie bezeichneten sich selbst als Sudetendeutsche und arbeiteten als Handwerker, Bergleute und Bauern. Später gewannen Glas- und Textilindustrie an Bedeutung. Doch die Tschechen wollten nicht mehr länger von Wien aus regiert werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nutzten sie die Gunst der Stunde und proklamierten am 28. Oktober 1918 die Nation Tschechoslowakei. Die in den Randgebieten lebenden Altösterreicher – immerhin ein Drittel der Gesamtbevölkerung – wurden über Nacht zu „ Tschechoslowaken“. Fortan waren sie Diskriminierungen ausgesetzt. Die Prager Regierung begann ab 1919 gezielt damit, Tschechen und Slowaken in den von Deutschsprachigen bewohnten Gebieten anzusiedeln. Präsident Tomáš Garrigue Masaryk ließ noch im gleichen Jahr keinen Zweifel daran, wohin die Reise gehen sollte: „ Es wird eine rasche Entgermanisierung dieser Ge- biete geben.“Grundbesitzer wurden enteignet, Beamte, die nicht fließend Tschechisch sprachen, verloren ihre Stellung. Die Zahl der Arbeitslosen stieg massiv an. Ab 1929 verschärfte die Weltwirtschaftskrise die Situation. Allein 1931 nahmen sich 20.000 Altösterreicher das Leben. Diese Gruppe wies auch die höchste Kindersterblichkeit der gesamten Republik auf.
Deutsche Truppen als „ Befreier“empfangen
Angesichts dieser prekären Lebensbedingungen hatten die Nazis in Deutschland leichtes Spiel, die Menschen im Sudetenland für sich einzunehmen. Als im Oktober 1938 deutsche Soldaten die Grenze überschritten, wurden sie von jubelnden Massen als „ Befreier“empfangen. Doch die Ernüchterung folgte rasch: Auch im Sudetenland wurden Sozialdemokraten und Juden von den Nazis gnadenlos verfolgt und ermordet. Es gab jedoch auch die andere Seite: 185 Widerstandsgruppen dokumentierte der spätere jüdische KPÖ- Politiker Leopold Grünwald. Und das Demokratiezentrum Wien bestätigt, dass der Widerstand gegen die Nazis im Sudetenland sogar deutlich ausgeprägter war als in Österreich.
Brutaler Volkszorn der Tschechen entlädt sich
Nach der Befreiung der Tschechoslowakei 1945 entlud sich der Zorn der Tschechen trotzdem völlig undifferenziert gegen jeden, der Deutsch sprach. Der neue Präsident Edvard Beneš forderte öffentlich die Vertreibung aller Altösterreicher und auch der ungarischen Minderheit: „ Was wir 1918 schon durchführen wollten, erledigen wir jetzt!“Bis 1948 wurden drei Millionen Sudeten-
deutsche enteignet und vertrieben – die meisten nach Deutschland und Österreich. „ Eines Morgens hämmerten Tschechen mit dem Gewehr gegen die Haustüre und schrien , Raus‘. Hätten wir uns geweigert, hätten sie uns sofort umgebracht“, erinnerte sich die Wienerin Maria T. (+ 2017). Selbst Überlebende aus Nazi- Konzentrationslagern, die in ihre alte Heimat zurückkehrten, wurden ausgewiesen. Sie hatten dabei noch Glück im Unglück. Denn rund 270.000 Zivilisten wurden vom Mob erschossen, erschlagen, ertränkt, lebendig verbrannt oder starben an Krankheiten.
Versöhnung 73 Jahre nach der Vertreibung
Heute leben noch rund 21.000 Sudetendeutsche und ihre Nachfahren in Tschechien. Sie sind in Vereinen organisiert, betreiben Schulen und pflegen ihre Kultur. Immer mehr junge Tschechen interessieren sich zudem für die früheren Bewohner der Grenzregionen und beginnen, die Verbrechen ihrer eigenen Vorfahren aufzuarbeiten. Es gibt gemeinsame Projekte von deutschen, österreichischen und tschechischen Jugendlichen. Zwischen den heutigen Bewohnern einst österreichischer Dörfer und Nachfahren von Vertriebenen sind Freundschaften entstanden. 100 Jahre nach dem Ende Österreich- Ungarns und der Gründung der Tschechoslowakei ist damit ein solides Fundament für eine gemeinsame europäische Zukunft geschaffen.