Der Frust der Jugend
Wenn die britische Premierministerin Theresa May jetzt von notwendiger nationaler Versöhnung spricht, weiß sie sehr gut, was sie sagt. Das Land ist wenige Tage vor der Abstimmung im Parlament am kommenden Dienstag gespalten in jene, die den Brexit herbeisehnen, und in jene, die den Austritt aus der EU unbedingt noch verhindern wollen.
Der Riss ist tief, und er geht oftmals quer durch Familien. Es gibt Kinder, die nicht mehr mit ihren Eltern reden, Freundschaften, die zerbrochen sind.
In den politischen Parteien sieht es kaum anders aus. Es gibt Linke, wie etwa LabourChef Jeremy Corbyn, denen die EU immer schon suspekt war, und die daher für den Austritt sind, und es gibt Linke, für die der Brexit eine Katastrophe darstellt. Im konservativen Lager ist es nicht anders, auch die Torys sind gespalten. Und so paktieren linke und konservative EUFreunde und linke und konservative Brexit- Fans. Die Meinungen sind so festgefahren, dass es sogar schon Todesdrohungen gegen Politiker gegeben hat.
Eines zeigt sich allerdings ziemlich deutlich: Der Frust der Jugend über den Brexit.
Viel von ihnen sind bei der Brexit- Abstimmung zu Hause geblieben, weil damals niemand mit einer Mehrheit für den Austritt aus der EU gerechnet hatte. Andere waren damals noch zu jung, um an der Volksabstimmung teilnehmen zu dürfen. Und so haben die älteren Briten, genauer gesagt, die älteren Engländer, die in ihrer Mehrheit für den Brexit sind, den Ausschlag gegeben. Mit dem Austritt aus der EU leben müssen aber naturgemäß vor allem die Jungen. Sie haben ihre Zukunft ja noch vor sich.
Und so ist es vor allem die Jugend, die sich stark macht für ein zweites Referendum. Allerdings nicht nur. Mit dem
früheren Premierminister Tony Blair hat sich jetzt auch ein sehr prominenter Brite für eine zweite Abstimmung ausgesprochen. Anders, so Blair, würde sich die Spaltung in der Gesellschaft nicht überwinden lassen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine zweite Abstimmung stattfinden könnte, ist gar nicht so gering. Denn im britischen Parlament gibt es zwar möglicherweise keine Mehrheit für den von Premierministerin May ausgehandelten Brexit- Deal, aber es gibt ganz sicher keine Mehrheit für einen harten, ungeordneten Brexit mit seinen wahrscheinlich chaotischen Folgen. Der Ausweg wären Neuwahlen und/ oder eine zweite Volksabstimmung.