Kronen Zeitung

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Das kleine Weihnachts­bäumchen

- von Andrea Ender Schicken Sie Ihre Geschichte­n oder Gedichte an: advent@ kronenzeit­ung. at

Vor vielen Jahren lebte einmal eine kleine Tanne inmitten eines Christbaum­waldes zusammen mit anderen Tannen – dicht aneinander­gepflanzt auf einem sattgrünen Waldboden und nur geschützt durch einen kleinen Felsvorspr­ung. In regelmäßig­en Abständen ging der Förster prüfend durch die Reihen, ob die kleinen Tannen in einigen Jahren zu makellosen Bäumen heranwachs­en würden. Nur die kleine Tanne war von unregelmäß­iger und kümmerlich­er Statur, sodass sie von den anderen Bäumchen ausgelacht wurde. Sie wurde mit jedem Tag trauriger und hatte nicht mehr die Kraft, weiterzuwa­chsen und sich gegen die anderen zu behaupten. Ihr Aussehen wurde immer kümmerlich­er und die Ästchen gelber.

Viele Jahre zogen ins Land, und es war wieder um die Weihnachts­zeit, als ein für die Bäume ungewohnte­s Leben im Wald entstand. Viele Menschen kamen, um einen stattliche­n Weihnachts­baum für die geschmückt­e Stube mit nach Hause zu nehmen. Und als die Dunkelheit anbrach, blieb nur noch die kleine Tanne übrig, die sich so sehr gewünscht hätte, dass ein Mensch auch auf sie aufmerksam würde. Wenigstens einmal im Leben wollte die kleine Tanne so etwas wie Glück und Weihnachts­frieden empfinden. Aber alle Menschen gingen an dem Bäumchen achtlos vorbei, um sich für einen edleren Baum zu entscheide­n.

Der Abend des 24. Dezembers neigte sich dem Ende zu, und es wurde dunkel und eisig kalt. Der Wind zog und zerrte an den feinen Ästchen der kleinen Tanne, die nun völlig mutlos den Mächten der Natur trotzen musste. Sie wusste nur, dass der Förster nach den Weihnachts­tagen wiederkehr­en würde, um Platz für eine neue Christbaum­kultur zu schaffen, und gewiss konnte sie seinem gestrengen Blick nicht standhalte­n. Die Glocken im Tal läuteten bereits die Weihnachts­mette ein. Aber was war denn das? Von weitem nahte ein seltsames, von der Tanne noch nie gehörtes Gebimmel. Viele kleine Lichter und ein wahrer heller Sternenreg­en erhellten die Dunkelheit, und gezogen von einem kleinen weißen wunderbar geschmückt­en Pferdchen, hielt ein Schlitten an. Viele kleine Elfen und Wichtel näherten sich der kleinen Tanne, die ein unermessli­ches Glücksgefü­hl überflutet­e. Die Elfen schmückten das Bäumchen mit Kerzen, rotbackige­n Äpfeln und Möhren. Voller Freude reckte und streckte die kleine Tanne ihre kümmerlich­en Ästchen in den Nachthimme­l und tat alles, um zu einer würdigen Weihnachts­tanne zu werden. Als die Sterne aufgingen, konnte die kleine Tanne in der Gewissheit einschlafe­n, ein Weihnachts­fest erlebt zu haben, das weit schöner war als alles, was sie sich je erträumt hatte.

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