Kronen Zeitung

DIE BESTEN GESCHICHTE­N UND GEDICHTE von Lesern für Leser Als das Christkind verklagt wurde

- von Josef Bloberger

Wie schon unzählige Jahre zuvor legte auch dieses Jahr das Christkind den kleinen und großen Leuten Geschenke auf den weihnachtl­ichen Gabentisch. Viele Augen glänzten vor Freude über die Geschenke, die sie sich insgeheim gewünscht hatten. Auch das Christkind – trotz der vielen Arbeit – freute sich mit den Menschen. Aber auch viele Briefe kamen in der Zeit vor Weihnachte­n an. Das Christkind las sie alle gern. So manchen Abend saß es unter der Sternenlam­pe, und fast jeder Brief begann mit „ Liebes Christkind“. Als das Christkind schon einen Stapel Briefe gelesen hatte, tanzte der nächste Brief aus der Reihe. Das Christkind drehte das Sternenlic­ht heller, damit es all das Groß- und Kleingedru­ckte lesen konnte. Verwundert las es den Brief, der von der „ Anwaltskan­zlei Mammon- Group Heuschreck, Pfeffersac­k & Partner, Gift- Street 00, Wilder Westen“stammte. Was sich die nur wünschen werden, dachte das Christkind gutgläubig?

„ Wir verklagen Sie, genannt , Das Christkind‘, weil Sie unseren Klienten wirtschaft­lichen Schaden zugefügt haben. Durch das Austeilen der vielen Geschenke haben unzählige Konzerne im Wilden Westen gehörigen Gewinneinb­ruch hinnehmen müssen.“Das Christkind schüttelte den Kopf, legte den Brief zur Seite, obwohl noch eine ganze Litanei an Kleingedru­cktem zu lesen gewesen wäre. Trotz aller Güte,

die das Christkind in seinem Gemüt hat, bekam es eine – wenn auch nur kleine – Zornesfalt­e auf der Stirn. Jetzt musste wer fürs Grobe her. Es rief nach dem Erzengel Gabriel. Als der den Brief gelesen hatte, bekam er schon mehrere Zornesfalt­en. „ So geht das aber gar nicht“, rief er. „ Ich habe eine Engelsgedu­ld, aber die ist jetzt am Ende!“Er beruhigte sich und sagte zum Christkind: „ Du brauchst dich um nichts zu sorgen, ich erledige das im Handumdreh­en.“

Wie und was der Erzengel Gabriel dann in die Wege geleitet hatte, steht in den Sternen. Aber Blitz und Donner gab es schon, und dieser Mammon- Group wurde ein neuer Gerichtsst­and zur Kenntnis gebracht: das Jüngste Gericht.

So blieb alles, wie es schon immer war. Das Christkind brachte weiterhin all die großen und kleinen Geschenke für die Menschen dieser Welt, und es gab keine Konkurrenz­Klausel. Ein Jahr darauf schrieben „ Heuschreck, Pfeffersac­k und Partner“wieder an das Christkind einen Brief, der jedoch so begann: „ Liebes Christkind . . .“

Der Erzengel Gabriel, dem das Wohl des Christkind­es und aller Menschen auf der Erde ein Anliegen war, setzte sich lächelnd auf eine Wolke und trank ein Schlückche­n Himmelstau.

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