Von der Hölle auf Erden zu Afrikas Vorzeigeland
Österreich lädt am Dienstag zu einem Afrika- Gipfel, mit dabei ist auch Ruandas Präsident Paul Kagame. 1994 lag das kleine Land im Blutrausch: Innerhalb von drei Monaten wurden bei einem bestialischen Völkermord mehr als 800.000 Menschen getötet. Heute gilt Ruanda als Reformwunder und Vorzeigeland.
Die Besucher machen ihre Schritte voller Bedacht, sie versuchen, sich leicht zu machen – als ob sie schweben wollten, um den Boden nicht zu berühren. Denn auf dem Gelände der Genozid- Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali sind rund 260.000 Menschen begraben. Angehörige der Volksgruppe der Tutsi, ermordet von den Hutu, ihren Landsleuten.
Der Völkermord geschah vor den Augen der internationalen Gemeinschaft, die Brutalität kannte keine Grenzen. Angefacht durch die Hass- Propaganda eines Radiosenders, machten die Hutu mit Macheten und Knüppeln Jagd auf Nachbarn, Freunde und Kinder – nur weil diese der anderen Volksgruppe angehörten. Opfer wurden lebendig begraben, Frauen systematisch vergewaltigt – für diese Aufgabe wurden extra HIV- infizierte Männer ausgewählt.
Kontakt zur Tochter eines Killers gesucht
Von all dieser unfassbaren Grausamkeit erzählt das Genozid- Museum. Und auch davon, dass es niemand in Ruanda gibt, der nicht betroffen ist. Man ist entweder Opfer oder Täter, beziehungsweise entstammt einer Opfer- oder Täterfamilie. „ Ich kenne die Killer meiner Angehörigen, manche von ihnen sind in Haft. Ich habe Kontakt zur Tochter eines der Mörder aufgenommen, wir haben lange miteinander gesprochen“, sagt Serge Ruiganda, der die Gäste
durch die bedrückende Ausstellung führt und auf diese Art und Weise versucht, das Trauma seines eigenen Lebens zu bewältigen.
Nach dem wochenlangen Massaker war Ruanda am Boden. Ein Land, so gut wie ausgelöscht. Seither hat der kleine, dicht besiedelte Staat in Ostafrika eine beispiellose Entwicklung vollzogen. Und die ist allerorts zu sehen: In Kigali stehen beinahe an jeder Ecke Kräne, es wird gebaut, was das Zeug hält, internationale Hotels und Konzerne siedeln sich an. Das gesamte Land ist blitzsauber, seit Jahren schon gilt ein Verbot von Plastiksackerln. Auch das Gepäck von Touristen wird bei der Einreise darauf untersucht.
Sehr ambitionierte Wirtschaftsziele
Das Land hat sich extrem ehrgeizige Wirtschaftsziele gesteckt – und ist auf dem besten Weg, diese auch zu erreichen. Längerfristig sollen die Wachstumsraten zweistellig sein und noch mehr internationale Investoren angelockt werden. Die Korruption ist im weltweiten Vergleich gering. Reisen zu den berühmten Berggorillas werden gut und teuer vermarktet, die Einschulungsrate liegt bei beinahe hun- dert Prozent. Dank konsequenter Aufklärung und Gratis- Verhütungsmitteln sank die Geburtenrate auf 3,8 Kinder pro Frau. Im bitterarmen Nachbarland Burundi bringt jede Frau noch immer durchschnittlich sechs Kinder zur Welt. Internationale Studien haben längst bewiesen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Bildung und Geburtenrate gibt.
Präsident Kagame als „ aufgeklärter Diktator“
Ruanda gilt zwar als Reformwunder, von einer freien Demokratie ist das Land jedoch weit entfernt. Präsident Paul Kagame, ein einstiger Rebellenführer, regiert seit dem Jahr 2000. Und das mit harter Hand. Wahlen werden manipuliert, die Presse ist gleichgeschaltet. Kagame gilt aber als „ guter“, als „ aufgeklärter Despot“, als jemand, der das Land voranbringen möchte. Auch deshalb ist Präsident Kagame bei den internationalen Investoren gut angeschrieben. Zu den Förderern des Diktators zählen der frühere US- Präsident Bill Clinton und der frühere britische Premierminister Tony Blair.
Versöhnung gehört zur Geschichte des Landes
Der wirtschaftliche Aufschwung ist ein ganz bedeutender Faktor bei der Versöhnung der Hutu und Tutsi. Der Umgang mit der Geschichte geschieht sehr bewusst, im ganzen Land gibt es eigens errichtete Dörfer des Friedens, wo Opfer und Täter Tür an Tür wohnen. Klar ist aber auch: Die Versöhnung braucht Zeit.
Ich habe beinahe meine gesamte Familie bei einem Angriff in einer Kirche verloren. Nur meine Mutter und ich konnten flüchten. Ich sehe meinen Job hier in der Gedenkstätte als Aufgabe, weil ich damals überlebt habe.
Serge Ruiganda, Museumsführer in der Genozid- Gedenkstätte