Kronen Zeitung

Von der Hölle auf Erden zu Afrikas Vorzeigela­nd

- Doris Vettermann, Klemens Groh ( Fotos)

Österreich lädt am Dienstag zu einem Afrika- Gipfel, mit dabei ist auch Ruandas Präsident Paul Kagame. 1994 lag das kleine Land im Blutrausch: Innerhalb von drei Monaten wurden bei einem bestialisc­hen Völkermord mehr als 800.000 Menschen getötet. Heute gilt Ruanda als Reformwund­er und Vorzeigela­nd.

Die Besucher machen ihre Schritte voller Bedacht, sie versuchen, sich leicht zu machen – als ob sie schweben wollten, um den Boden nicht zu berühren. Denn auf dem Gelände der Genozid- Gedenkstät­te in Ruandas Hauptstadt Kigali sind rund 260.000 Menschen begraben. Angehörige der Volksgrupp­e der Tutsi, ermordet von den Hutu, ihren Landsleute­n.

Der Völkermord geschah vor den Augen der internatio­nalen Gemeinscha­ft, die Brutalität kannte keine Grenzen. Angefacht durch die Hass- Propaganda eines Radiosende­rs, machten die Hutu mit Macheten und Knüppeln Jagd auf Nachbarn, Freunde und Kinder – nur weil diese der anderen Volksgrupp­e angehörten. Opfer wurden lebendig begraben, Frauen systematis­ch vergewalti­gt – für diese Aufgabe wurden extra HIV- infizierte Männer ausgewählt.

Kontakt zur Tochter eines Killers gesucht

Von all dieser unfassbare­n Grausamkei­t erzählt das Genozid- Museum. Und auch davon, dass es niemand in Ruanda gibt, der nicht betroffen ist. Man ist entweder Opfer oder Täter, beziehungs­weise entstammt einer Opfer- oder Täterfamil­ie. „ Ich kenne die Killer meiner Angehörige­n, manche von ihnen sind in Haft. Ich habe Kontakt zur Tochter eines der Mörder aufgenomme­n, wir haben lange miteinande­r gesprochen“, sagt Serge Ruiganda, der die Gäste

durch die bedrückend­e Ausstellun­g führt und auf diese Art und Weise versucht, das Trauma seines eigenen Lebens zu bewältigen.

Nach dem wochenlang­en Massaker war Ruanda am Boden. Ein Land, so gut wie ausgelösch­t. Seither hat der kleine, dicht besiedelte Staat in Ostafrika eine beispiello­se Entwicklun­g vollzogen. Und die ist allerorts zu sehen: In Kigali stehen beinahe an jeder Ecke Kräne, es wird gebaut, was das Zeug hält, internatio­nale Hotels und Konzerne siedeln sich an. Das gesamte Land ist blitzsaube­r, seit Jahren schon gilt ein Verbot von Plastiksac­kerln. Auch das Gepäck von Touristen wird bei der Einreise darauf untersucht.

Sehr ambitionie­rte Wirtschaft­sziele

Das Land hat sich extrem ehrgeizige Wirtschaft­sziele gesteckt – und ist auf dem besten Weg, diese auch zu erreichen. Längerfris­tig sollen die Wachstumsr­aten zweistelli­g sein und noch mehr internatio­nale Investoren angelockt werden. Die Korruption ist im weltweiten Vergleich gering. Reisen zu den berühmten Berggorill­as werden gut und teuer vermarktet, die Einschulun­gsrate liegt bei beinahe hun- dert Prozent. Dank konsequent­er Aufklärung und Gratis- Verhütungs­mitteln sank die Geburtenra­te auf 3,8 Kinder pro Frau. Im bitterarme­n Nachbarlan­d Burundi bringt jede Frau noch immer durchschni­ttlich sechs Kinder zur Welt. Internatio­nale Studien haben längst bewiesen, dass es einen direkten Zusammenha­ng zwischen Bildung und Geburtenra­te gibt.

Präsident Kagame als „ aufgeklärt­er Diktator“

Ruanda gilt zwar als Reformwund­er, von einer freien Demokratie ist das Land jedoch weit entfernt. Präsident Paul Kagame, ein einstiger Rebellenfü­hrer, regiert seit dem Jahr 2000. Und das mit harter Hand. Wahlen werden manipulier­t, die Presse ist gleichgesc­haltet. Kagame gilt aber als „ guter“, als „ aufgeklärt­er Despot“, als jemand, der das Land voranbring­en möchte. Auch deshalb ist Präsident Kagame bei den internatio­nalen Investoren gut angeschrie­ben. Zu den Förderern des Diktators zählen der frühere US- Präsident Bill Clinton und der frühere britische Premiermin­ister Tony Blair.

Versöhnung gehört zur Geschichte des Landes

Der wirtschaft­liche Aufschwung ist ein ganz bedeutende­r Faktor bei der Versöhnung der Hutu und Tutsi. Der Umgang mit der Geschichte geschieht sehr bewusst, im ganzen Land gibt es eigens errichtete Dörfer des Friedens, wo Opfer und Täter Tür an Tür wohnen. Klar ist aber auch: Die Versöhnung braucht Zeit.

Ich habe beinahe meine gesamte Familie bei einem Angriff in einer Kirche verloren. Nur meine Mutter und ich konnten flüchten. Ich sehe meinen Job hier in der Gedenkstät­te als Aufgabe, weil ich damals überlebt habe.

Serge Ruiganda, Museumsfüh­rer in der Genozid- Gedenkstät­te

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 ??  ?? Das Massaker machte auch vor Kindern nicht halt: Sie wurden erschossen, erstochen, verbrannt – oder, so wie die kleine Filette Uwase, dermaßen brutal gegen die Wand geworfen, dass sie starben.
Das Massaker machte auch vor Kindern nicht halt: Sie wurden erschossen, erstochen, verbrannt – oder, so wie die kleine Filette Uwase, dermaßen brutal gegen die Wand geworfen, dass sie starben.
 ??  ?? Die Genozid- Gedenkstät­te in Ruandas Hauptstadt Kigali. Die grauenvoll­en Bilder und Berichte über den Völkermord treiben den Besuchern Tränen in die Augen.
Die Genozid- Gedenkstät­te in Ruandas Hauptstadt Kigali. Die grauenvoll­en Bilder und Berichte über den Völkermord treiben den Besuchern Tränen in die Augen.
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Heute ist Kigali ein blühendes Wirtschaft­szentrum, überall wird gebaut und investiert. Und Kigali gilt als die sauberste Hauptstadt Afrikas – Plastik ist verboten.
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