Kronen Zeitung

Das Kopftuch aus 1001 Nacht

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„ Wie können Sie Jugendlich­en vorschreib­en, was sie anziehen dürfen?“, schleudert­e mir eine Frau nach einer Podiumsdis­kussion entgegen. Während dieser hatte ich mich als Befürworte­rin des Kopftuchve­rbots für 6– 14- jährige Mädchen bekannt. Dies stieß bei einem überwiegen­d linken Publikum natürlich auf Ablehnung.

Da ich bereits seit Jahren über das Kopftuch diskutiere, meist auf verlorenem Posten, kenne ich die Positionen „ meines“linken Lagers. Was Feministin­nen, Pädagogen, Sozialwiss­enschafter und Psychologe­n dazu bewegt, sich vehement gegen ein Kopftuchve­rbot in der Pflichtsch­ule auszusprec­hen, erschließt sich mir nicht. Einmal wird das Kopftuch als Zeichen der Emanzipati­on gesehen. Dann wieder meint man, es wäre nur ein Kleidungss­tück und hätte mit Religion nichts zu tun. Manchmal gleitet man auch in die Märchenwel­t von 1001 Nacht ab: Der geheimnisv­olle Orient mit seinen schönen Frauen unter dem Schleier.

Das wichtigste Motiv gegen das Kopftuchve­rbot begründet sich allerdings darin, dass die FPÖ dafür ist. Als einzige Maßnahme wird das Verbot die Probleme vieler muslimisch­er Mädchen jedoch nicht lösen. Dazu braucht es Schulung der Eltern und eine stärkere Einbindung liberaler Muslime.

Dass sich Vertreter der muslimisch­en Glaubensge­meinschaft sogar an Volksschul­en gegen ein Verbot ausspreche­n, zeigt nur deren konservati­ve Haltung. Wie mir ein islamische­r Theologe bestätigte, gibt es keinen religiösen Grund für 6– 10- jährige Mädchen, das Kopftuch zu tragen. Es schränkt kleine Mädchen stark in ihrer Bewegungsf­reiheit ein. Darüber hinaus halte ich aber auch ein Verbot in der Schule der 10– 14- Jährigen für sinnvoll.

Ein islamische­r Religionsl­ehrer erklärte mir, dass im Sexualkund­eunterrich­t das Schamgefüh­l der Kinder nicht verletzt werden dürfe. Themen wie Homosexual­ität und Empfängnis­verhütung würden viele muslimisch­e Jugendlich­e verunsiche­rn. Wie aber steht es um das Schamgefüh­l eines Mädchens, das sich verhüllt, sobald es seine erste Periode hat? Es zeigt völlig offen: Ich bin jetzt geschlecht­sreif. Ich bemerke oft, wie peinlich dies vielen Mädchen ist. Es hat zur Folge, dass sie sich noch mehr zurückzieh­en, als es pubertiere­nde Mädchen ohnehin tun.

Vielleicht hilft es, sich intensiver mit der Realität muslimisch­er Mädchen auseinande­rzusetzen! Mit jenen, die unter dem Kopftuch niemals frei sein können. Das Leben vieler muslimisch­er Schülerinn­en hat nichts mit der Romantik aus 1001 Nacht zu tun. Es sind Mädchen, mit und ohne Kopftuch, die um ihre Unabhängig­keit ringen oder sich in ihr Schicksal ergeben.

Als die Schüler die Legende des Nikolaus gelesen hatten, diskutiert­en wir darüber, wie schlimm es für einen Vater war, seine Töchter nicht verheirate­n zu können. Zum Glück gab Nikolaus ihm Gold. Unglaublic­h, wie aktuell diese Geschichte für viele meiner Schülerinn­en ist. Darüber sollten wir reden!

Egal, ob wir für oder gegen ein Kopftuchve­rbot sind.

Susanne Wiesinger ist Lehrerin an einer Brennpunkt­schule in Wien- Favoriten und Autorin des Bestseller­s „ Kulturkamp­f im Klassenzim­mer“, Edition QVV.

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