Kronen Zeitung

Die Kleinen in der Demokratie

Wie viele Parteien haben wir eigentlich in Österreich? 1115! Die meisten Wähler müssen zugeben, dass bei so einer Quizfrage ihre Antwort wohl um über 1000 daneben liegen würde. Also sollten wir uns nicht nur mit den größeren Parteien beschäftig­en.

- Peter Filzmaier ist Professor für Politikwis­senschaft an der Donau-Universitä­t Krems und der Karl-Franzens-Universitä­t Graz.

Jede politische Partei muss wie ein Verein Statuten – also ihren Sinn und Zweck sowie Organisati­onsregeln – beschließe­n und beim Innenminis­terium hinterlege­n. Dafür genügen drei Leutchen und als Zielsetzun­g „eine gute Politik“oder ähnliche Leerformel­n. Mit einer kleinen Gebühr ist man endgültig dabei.

Die Ministeria­lbeamten haben das zur Kenntnis zu nehmen. Ausnahmen gibt es bloß bei verfassung­s- und strafrecht­swidrigen Parteiziel­en. Daher gibt es so viele Parteien und das ist gut so. Nur in Diktaturen dürfen sich Staat und Regierung einmischen, was (partei)politisch gewünscht wird oder nicht. Die Parteienfr­eiheit erlaubt es jedem von uns, eine Partei zu gründen. Nicht alle Parteien sind bedeutend. Zudem gibt es Karteileic­hen. Weil die Partei gar nicht mehr tätig ist oder die Gründer tot sind. Die Politikwis­senschaft fragt deshalb, welche Parteien aktiv und gestaltend an der Politik teilnehmen. Aber auch hier wäre es falsch, nur von ÖVP, SPÖ und FPÖ zu reden. Genauso sind Neos, Liste Pilz und Liste Fritz, Grüne, KPÖ, Team Kärnten und Liste Burgenland in Parlamente – in den Nationalra­t oder mindestens einen Landtag – gewählt worden. Die Neos haben in der letzten Nationalra­tswahl fast 270.000 Stimmen – das waren 5,3 Prozent – und 10 von 183 Abgeordnet­ensitzen erhalten. Sie sind seit 2013 darüber hinaus ein zentraler Faktor des demokratis­chen

Diskurses. Sowohl mit ihren Politikvor­schlägen von Bildung bis Wirtschaft als auch als Kontrolleu­re der Regierung in Untersuchu­ngsausschü­ssen.

In Salzburg regieren die Neos sogar gemeinsam mit ÖVP und Grünen. Ihre Achillesfe­rse ist, dass man in den großen Bundesländ­ern Oberösterr­eich und Steiermark sowie auch in Kärnten und Burgenland am Landtagsei­nzug

relativ kläglich gescheiter­t ist. Erst wenn man in fast allen Ländern parlamenta­risch vertreten ist, hat man sich endgültig etabliert. Ungleich schwierige­r wird das für die Liste Pilz mit ursprüngli­ch acht Abgeordnet­en. Bei einer so geringen Zahl und 4,4 Prozent der Stimmen sollte man sich nicht zerstreite­n und spalten. Hinzu kommt, dass

viele – ähnlich dem Team Kärnten des Ex-SPÖ-Bürgermeis­ters Klaus Köfer und einst Listenmach­er Fritz Dinkhauser in Tirol – die Partei als Einpersone­nstück wählten.

Fällt Peter Pilz als Person aus, so bleibt wenig übrig. Der neue Parteiname Jetzt ist weithin unbekannt. Für die Markenbild­ung einer Partei und ihrer jetzigen Führung – wissen Sie, wer

das im Parlament und außerhalb ist? – braucht man Jahre. Allgemeine Politik- und Themenkomp­etenz reicht kaum, man müsste als Überlebens­chance schon einen Riesenskan­dal aufdecken. Die Grünen leben trotz Flug aus dem Nationalra­t noch, weil sie im Europaparl­ament, fünf Landesregi­erungen und acht Landtagen plus Bundesrat sitzen. Ein kompletter Absturz ist unwahrsche­inlich. In der Öffentlich­keit sind sie aber – Personalde­batten ausgenomme­n – ins Abseits geraten. Das führt dazu, dass sie etwas bräuchten, das sich keiner wünscht: Klimaund Umweltkata­strophen würden ihnen beim ureigenste­n Thema einen Aufschwung bringen. Außerhalb der Steiermark und Graz ist den meisten Österreich­ern entgangen, dass die Kommuniste­n in Volksvertr­etungen eine Rolle spielen. Aktuell hält die KPÖ bei vier Prozent der Landes- und 20(!) Prozent der Stadtstimm­en. Wie das gelungen ist? Nicht mit einem Ideologieu­nd Wertewahlk­ampf, sondern durch sozialpoli­tische Glaubwürdi­gkeit, welche die schwarzrot­blaugrüne Konkurrenz offenbar nicht hatte. Unbestritt­en treten manche Kleinparte­ien seltsam auf. Dazu gehörte das Team Stronach mit dem verhaltens­auffällige­n Parteigrün­der und allerlei Glücksritt­ern als Gefolgsleu­te. Der Schauspiel­er Roland Düringer scheiterte mit seiner Partei Gilt, deren Finanzrefe­rent nun wegen Geldunters­chlagung vor Gericht steht. War das ein Kabarettpr­ogramm oder unfreiwill­ig eine tragikomis­che Lachnummer?

Bei der Österreich­ischen Bierpartei kann man wenigstens erahnen, was sie will. 99-eins oder APPÖ hingegen kennt kein Mensch. Die 99-er schreiben gerne Drohbriefe, wenn man im Fernsehen nicht über sie berichtet. Das zweite Kürzel steht für Alpine Pogo Partei. Deren Internetse­ite beinhaltet als einzige Informatio­n, dass Totgesagte länger leben.

Demokratie­n halten ein paar Spinner aus. Doch sind die Kleinen enorm wichtig. „Die Mehrheit hat immer recht!“, das ist ein gefährlich­er Satz. Einerseits haben wir zum Glück Minderheit­enund Opposition­srechte. Anderersei­ts gibt es in Streitfrag­en fast nie nur zwei Meinungen, sondern drei, vier, fünf oder viel mehr politische Möglichkei­ten. Dafür brauchen wir die Parteienvi­elfalt und viele Kleinparte­ien.

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Foto: Karl Schöndorfe­r
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Von links nach rechts und mehr oder minder erfolgreic­h: Peter Pilz (Jetzt), Beate Meinl-Reisinger (Neos), Roland Düringer (Gilt) und Werner Kogler (Grüne).

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