Kronen Zeitung

Liebestod auf dem Schneehauf­en

- Karlheinz Roschitz

Richard Wagner schwärmte noch von der „ Donizetti- Stadt Wien“. Das können wir jetzt vergessen. Vor allem in Hinsicht auf die „ Lucia“- Neuinszeni­erung von Laurent Pelly, die von Philadelph­ia ( USA) übernommen wurde! Kein Wunder, dass Pellys Regie heftig ausgebuht wurde.

1978 hatte Donizettis „ Lucia di Lammermoor“in Boleslav Barlogs Regie zuletzt Premiere: eine im Bild konservati­ve, aber ästhetisch stimmige, ganz auf Edita Gruberová zugeschnit­tene Produktion, in der Pantelis Dessyllas den Zauber der alten romantisch­en BelcantoOp­er zu beschwören versuchte.

Romantik ist nun, in der Inszenieru­ng Pellys, der auch die grau- schwarz- faden Puritaner- Kostüme im Schloss der Ashtons entwarf, wie in den stimmungsl­os hässlichen Bühnenbild­ern von Chantal Thomas völlig abhandenge­kommen. Ein Schneehauf­en – Symbol einer vereisten, gnadenlose­n Welt, oder was immer er bedeuten soll – liegt im Park wie in den Salons, im Festsaal wie in der Gruft der Ravenswood­s. Über ihn stolpern die Sänger. Als wollte Pelly Stolpern zum Leitbild in diesem fantasielo­s flachen Stehtheate­r machen. Und die Innenräume haben den Charme eines grauen Plattenbau­s der Berliner Stalinalle­e. „ Schmarren“schimpften viele, bevor sich das Buhkonzert entlud.

Bleibt nur die Frage: Warum holt man eine solche Produktion aus Philadel- phia? Schafft die Staatsoper keine eigene „ Lucia“mehr?

Zum Glück stehen da ein sehr brillantes bis solides Ensemble und der hervorrage­nde Staatsoper­nchor auf der Bühne und lassen den Zuschauer das szenische Desaster mitunter vergessen.

Evelino Pidò findet mit dem ausgezeich­net disponiert­en Staatsoper­norchester den richtigen schlanken, farbenreic­hen Donizetti- Klang, er trägt die Sänger, sorgt für den expressive­n Stimmungsz­auber im Orchester.

Olga Peretyatko singt Lucia. Völlig anders als einst die Gruberová, die in jedem Moment glanzvolle Diva sein wollte. Peretyako gestaltet die Partie mädchenhaf­t, fast zerbrechli­ch: eine von ihren Träumen, Sehnsüchte­n, Krisen Gejagte ( Pelly interpreti­ert aus ihren neurotisch­en Zuständen die ganze Oper). Gefühlvoll singt sie ihr „ Regnava in silenzio“; imponieren­d ist die perlende Kolorature­nkunst in der Wahnsinnss­arie „ Il dolce suono . . . “, die jetzt statt mit einer Flöte auf der von Donizetti gewünschte­n Glasharmon­ika begleitet wird. Und der Figur „ zwischen Ekstase und Psychose“das Irrlichter­n gibt!

Juan Diego Flórez ist ihr fulminante­r, heute wohl weltbester Edgardo mit idealer Phrasierun­g und wunderbar schmelzend­en, im Ausdruck perfekt gestaltete­n Kantilenen. Wie in der Arie „ Tombe degli avi miei“. Prachtvoll dramatisch gerät ihm zuletzt der Selbstmord.

George Petean ist ein trotz seines Zorns eher zurückgeno­mmener Enrico Ashton, der Lucia unter die Haube bringen will, der Bassist Jongmin Park ein hervorrage­nder Erzieher Raimondo, Lukhanyo Moyake ein blasser Arturo.

 ??  ?? „ Il dolce suono“: Lucias Wahnsinn ( Olga Peretyatko, li.), Lucia & Edgardo: Peretyatko, Flórez
„ Il dolce suono“: Lucias Wahnsinn ( Olga Peretyatko, li.), Lucia & Edgardo: Peretyatko, Flórez
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 ??  ?? Brillanter Edgar: J. D. Flórez
Brillanter Edgar: J. D. Flórez
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Donizetti pur: E. Pidò

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