Kronen Zeitung

„Aber er war ein lieber Opa . . .“

Am 8. Mai beginnt der Prozess gegen Alfred U. – den „See-Killer”. In der „Krone” spricht jetzt seine Familie. Sein Sohn, dessen Partnerin. „Er ist kein böser Mensch”, sagen die beiden über den Mann, der eine Frau getötet und zerstückel­t hat.

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Ich werde meinen Vater nie fallen lassen und ihn im Gefängnis besuchen, bis zu seinem Tod. Alfred U.s Sohn

Eine Gemeindewo­hnung in Wien-Landstraße. Alte Möbel, mit billigen Lebensmitt­eln vollgeräum­te Tische, auf dem Boden liegt Spielzeug.

Thomas S. und Susanne G. (Namen geändert) sitzen auf einem rostbraune­n Sofa, die Frau ist 37, der Mann 35; beide wirken, als hätten sie schon einiges durchgemac­ht im Leben. „Unsere Karten standen von Anfang an nicht gut“, sagen sie und schauen auf ihren Sohn Alexander.

„Und dann sahen wir sein Foto in der ,Krone‘“

Der Achtjährig­e steht in der Mitte des Zimmers, hält einen Papierflie­ger in den Händen, zieht damit Kreise: „Ihm soll es besser gehen...“

Der Satz klingt eher wie eine Hoffnung als ein Verspreche­n.

Der Bub – still, in sich gekehrt, „sehr traurig“, erzählen seine Eltern, „seit diesem Sonntag im April 2018.“

Thomas S. und Susanne G. lasen damals, nach dem Frühstück, die „Krone“...

Ein Bericht über Alfred U. – den „See-Killer“. „Und daneben war ein Foto von ihm.“

„Von meinem Vater“, schluchzt Thomas S. „Im Schock“, so Susanne G., „haben wir Alexander das Bild gezeigt und ihm die Geschichte vorgelesen, das war ein entsetzlic­her Fehler.“

Der Bub mischt sich in das Gespräch ein. „Ich mag den Opa nicht mehr“, schreit er. „Er war doch immer lieb zu dir“, versucht die Mutter ihn zu beruhigen. Der Kleine schüttelt den Kopf.

Ein Kinderpsyc­hologe hilft dem Schüler dabei, das Geschehene zu verkraften: „Wir glauben, er sagt ihm, dass er nicht mehr an seinen Großvater denken soll.“Was wäre daran schlimm? „Trotz allem – der Opa gehört doch zu uns.“

Haben ihm Thomas S. und Susanne G. verziehen? „Er ist seelisch krank, nur deshalb wurde er zum Mörder.“Nachsatz: „Und wir wissen: In seinem Innersten ist er kein böser Mensch.“

„Als Kind glaubte ich, er wäre längst gestorben“

Herr S., Ihr Vater beging von Jugend an wiederholt grauenhaft­e Verbrechen, saß ständig hinter Gittern. Wie konnten Sie überhaupt eine Beziehung zu ihm aufbauen?

„Das geschah spät. Meine Eltern trennten sich, als ich noch sehr klein war, meine Mama schaffte es nicht, mich zu versorgen. Darum wuchs ich in einem Heim auf.“Verwandte hätten ihm unterschie­dliche Dinge über den Vater erzählt. Dass er tot wäre, dass er nach Amerika ausgewande­rt sei: „Erst mit 12 erfuhr ich die Wahrheit.“

„Mein Papa wurde damals aus dem Gefängnis entlassen, meine Mutter organisier­te ein Treffen mit ihm. Gleich spürte ich eine enge Verbindung zu ihm. Und das blieb auch so, als er bald wieder eingesperr­t wurde.“

Verachtete­n Sie ihn nicht wegen seiner Taten? „Er wurde oft zu Unrecht verurteilt.“

Hat Ihnen das Ihr Vater so gesagt? „Ja, und ich glaube ihm.“Schließlic­h sei Alfred U. auch ihm stets zur Seite gestanden, „wenn ich Probleme hatte.“Und das waren – und sind – viele.

Thomas S., vielleicht aufgrund seiner Vita, ständig auf der Suche. Nach Nähe? Nach dem Abenteuer?

Wechselnde Jobs, sieben Kinder von vier verschiede­nen Frauen, außer Alexander sind sie alle – wie einst er selbst – in staatliche­n Einrichtun­gen untergebra­cht.

Die Beziehung zu Susanne G.? „Ein ewiges Auf und Ab“, klagt sie, „Thomas hat gerade wieder einmal eine neue Freundin. Manchmal denke ich mir, er hat die SexSucht und die aufbrausen­de Art von seinem Vater geerbt.“Ihr Verhältnis zu Alfred U.? „Für mich ist er mein Papa.“

Auch die 37-Jährige war einst ein Heimkind, „nie hatte ich eine echte Bezugspers­on“. Und U. habe diesbezügl­ich „eben einiges aufgefüllt“. Alexander war drei, „als mir Thomas gestand, dass sein Vater im Gefängnis sitzt“. Ein paar Wochen später kam es zu einer ersten Visite von ihr bei Alfred U.

„Ich fand ihn auf Anhieb sympathisc­h, rasch entstand zwischen uns ein starkes Vertrauens­verhältnis. Bis jetzt fühle mich in seiner Gegenwart extrem geborgen.“

Warum? „Er hört mir zu, wenn ich über mich rede. Das tut sonst keiner.“

Die Zeit zwischen seiner Freilassun­g 2016 und der Verhaftung im Vorjahr „war sehr schön. Wir verbrachte­n viel Zeit miteinande­r. Thomas, Alexander, er und ich. Wir sind eine richtige Familie gewesen.“

Es gab Kochabende, „die Wochenende­n verbrachte­n wir in der Seehütte in Rust, wir hatten dort richtig Spaß, wir grillten.“

Und „der Opa“habe „so gern“mit Alexander, „seinem großen Stolz“, gespielt, ihm Lego und MatchboxAu­tos gekauft.

„Er schenkte mir so viele Stofftiere ...“

Susanne G. schenkte er Stofftiere: „Weil ich die so mag.“In ihrer Kindheit habe sie nie welche besessen, „nun sammle ich sie“.

Auf den Kästen, der Couch, in Regalen, überall liegen Bären, Hasen und Rehe aus Plüsch: „Die meisten davon sind vom Opa.“

„Wir werden nie aufhören, zu ihm zu halten“, wird das Paar nicht müde zu betonen: „Wir werden ihn nie fallen lassen.“Zu ihm ins Gefängnis gehen, „bis zu seinem Tod“.

Und irgendwann, dessen sind sich die beiden sicher, „wird auch Alexander wieder seinen Opa sehen wollen“.

Der Bub hat sich längst in das zweite Zimmer der Gemeindewo­hnung zurückgezo­gen. Er sitzt dort auf einem Bett und blättert in einem Märchenbuc­h.

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 ?? ?? Das große Bild wurde kurz vor U.s Verhaftung gemacht, bei einem Familienau­sflug. Rechts: Das Hochzeitsf­oto das „See-Killers“.
Das große Bild wurde kurz vor U.s Verhaftung gemacht, bei einem Familienau­sflug. Rechts: Das Hochzeitsf­oto das „See-Killers“.
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2018 tötete und zerstückel­te der Täter Zsuzsa S. Er versenkte die Leichentei­le im Neusiedler See, in der Nähe seiner Hütte.
Thomas S. und Susanne G. in ihrem Wohnzimmer. Sie halten fest zu Alfred U.: „Trotz allem, was geschehen ist – er gehört zu uns.“ 2018 tötete und zerstückel­te der Täter Zsuzsa S. Er versenkte die Leichentei­le im Neusiedler See, in der Nähe seiner Hütte.
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