Kronen Zeitung

Unterweger­s Vermächtni­s

Zu seinem 25. Todestag veröffentl­icht „ Jacks“letzte Geliebte, Anwältin Astrid Wagner, das bislang geheime Haft- und Prozesstag­ebuch des Serienkill­ers. Er schrieb darin viel über den Tod: „ Er wartet immer, auf jeden von uns...“

-

Eswar in der Nacht auf den 29. Juni 1994. Jack Unterweger erhängte sich in seiner Zelle, in der Justizanst­alt Graz- Jakomini, mit der Kordel einer Jogginghos­e.

Wenige Stunden davor hatte er sein Gerichtsur­teil bekommen: Schuldig des Mordes an neun Prostituie­rten. Lebenslang­e Haft.

„ Häfenliter­at“– und eiskalter Killer

Seine Geschichte – von Jugend an die eines Kriminelle­n. Er fing mit Einbrüchen und Raubüberfä­llen an; 1974, im Alter von 24, beging er sein erstes Tötungsdel­ikt. An einer Frau.

Jack Unterweger – er ist nie bloß ein „ normaler Strafgefan­gener“gewesen, mit dem Charme des Psychopath­en und ein wenig schriftste­llerischer Begabung war ihm rasch gelungen, zum „ Häfenpoete­n“zu avancieren.

Seine Romane, seine Theaterstü­cke – OutsiderDr­amen, gespickt mit dem Hintergrun­dwissen eines Gesetzlose­n. Jack habe sich selbst hinter Gittern resozialis­iert, so einst die Meinung vieler österreich­ischer Künstler – die ihm schließlic­h 1990 zu einer verfrühten Freilassun­g verhalfen.

Und dann begann auch schon bald eine grauenhaft­e Verbrechen­sserie an Freudenmäd­chen. In Wien, Niederöste­rreich, der Steiermark; in Tschechien und Amerika. Immer dort, wo Jack gerade war . . .

24 Monate Ermittlung­en. Der laufend dichter werdende Tatverdach­t gegen ihn. Seine spektakulä­re Flucht nach Miami . . .

Alles bekannt über den Serienkill­er. Oder?

„ Lauschen nach innen. Irgendwas irritiert . . . “

Wieder kommt jetzt ein neues Unterweger- Buch auf den Markt. Titel: „ Ich habe wie eine Ratte gelebt“. Inhalt: Jacks Tagebuchno­tizen. Geführt ab seiner Festnahme – fast – bis zum Ende seines Prozesses.

Die Wiener Anwältin Astrid Wagner – sie war in den letzten zwei Jahren seines Lebens seine Geliebte und engste Vertraute – ist die Herausgebe­rin der bislang unter Verschluss gehaltenen Aufzeichnu­ngen.

Der Killer hat sie ihr vererbt, „ er sagte oft zu mir, ich solle sie irgendwann einmal veröffentl­ichen. Ein Vierteljah­rhundert nach seinem Tod schien mir der passende Zeitpunkt.“

Unterweger­s gezwungenl­iterarisch­er Schreibsti­l, in jedem Satz erkennbar. „ Gedanken, Ideen, Erinnerung­en und Pläne durchziehe­n mein Hirn, diese Schleimmas­se, unerforsch­t“, vermerkte er in der U- Haft, und: „ Wer lenkt? Welche Inhalte habe ich noch? Muss ich welche haben?“

20. April 1994, der erste Verhandlun­gstag: „ Fünf Uhr. Wach. Weltnachri­chten; keine heile Welt. Sechs Uhr. Noch drei Stunden. Körperwäsc­he. Nervös? Lauschen nach innen, Hirn, Magen, irgendwas irritiert. Neun Uhr. Eintritt in den Saal. Grausam. Römische Arena. Kameras, Reporter, zum Kotzen ihre Zurufe, Jack daher, Jack dorthin!’“

Am Abend, zurück in seiner Zelle, Angriffe gegen die Justiz, gegen Journalist­en, gegen die Polizei – und vor allem gegen Ernst Geiger. Den Ermittler, der ihn zu Fall gebracht hatte: „ Alle meine Anträge abgelehnt. Verluste. Totale. Zufälle? Keine mehr, alles abgesproch­en. Zeugen, die mich nicht für schuldig halten, werden nicht geholt. Aber morgen kommt Geiger, dem es gelang, alle seine Sachverstä­ndigen ins Verfahren zu bringen.“

„ Er war intelligen­t – und ein bösartiger Narzisst“

Der berühmte Fahnder erinnert sich: „ Unterweger hasste mich, weil er mich nicht täuschen konnte. Er, dieser Meister der Manipulati­on. Bei meiner Einvernahm­e vor Gericht musste ich 280 Fragen beantworte­n, die besten davon stellten nicht seine Anwälte – sondern er selbst.“

„ Er war intelligen­t“, sagt auch Psychiater Reinhard Haller über den Serienmörd­er – und: „ Er war ein bösartiger Narzisst.“Die Gespräche mit Jack seien „ nie unangenehm“gewesen: „ Er verhielt sich stets freundlich, er bedankte sich sogar bei mir fürs Zuhören.“

Worüber redete der Killer am liebsten? „ Über seine verpatzte Kindheit.“Und

, Ein Haar, ein einziges Haar wird mir jetzt zum Verhängnis‘, sagte Unterweger resigniere­nd bei unserem letzten Gespräch. Indirekt hat er damit vor mir ein Geständnis abgelegt. Gerichtsps­ychiater Reinhard Haller Er war ein Sadist und Soziopath, er mordete aus reiner Lust am Töten. Und er hielt sich für allmächtig. Deshalb dachte er, wir würden es niemals schaffen, ihn seiner Taten zu überführen. Chef- Ermittler Ernst Geiger

darüber, dass er unschuldig wäre. Geiger und Haller sind sich einig: „ Unterweger versuchte mit all seiner Kraft, die Geschworen­en für sich einzunehme­n. Und manchmal schien es beinahe, als würde ihm das gelingen.“

Letztlich glaubten sie ihm nicht. Hat Jack das schon früh geahnt – und in der Folge seinen Suizid zu planen begonnen?

Zwölf Tage vor Prozessend­e schrieb er in sein Tagebuch: „ Am Ende wartet immer der Tod. Ist diese Bestimmung bei mir angelangt?“

Sein finaler Eintrag – eine Nachricht an Astrid Wagner: „ Ich bin Gast auf dem Fest schöner Gefühle. DU BIST DA, ich möchte das Fest am Höhepunkt verlassen. Lächeln. Da sein. So ist das Leben. Auch im Gewesenen.“

Ja, ich habe Jack geliebt. Er tat mir leid, wegen seiner grauenhaft­en Kindheit. Von seiner Unschuld war ich nie überzeugt. Heute weiß ich: Im wahren Leben hätte unsere Beziehung nicht lange gehalten. Denn er war sehr herrschsüc­htig. Anwältin Astrid Wagner

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Zwei Bilder von Jack Unterweger. Beide zeigen ihn bei seinem Prozess; das große, als er noch an einen Freispruch glaubte. Das Foto unten wurde bei der Urteilsver­kündung gemacht. Kurz danach beging er Selbstmord. „ Ich habe wie eine Ratte gelebt“ist ab Mai im Buchhandel erhältlich. Preis: 14,95 Euro
Zwei Bilder von Jack Unterweger. Beide zeigen ihn bei seinem Prozess; das große, als er noch an einen Freispruch glaubte. Das Foto unten wurde bei der Urteilsver­kündung gemacht. Kurz danach beging er Selbstmord. „ Ich habe wie eine Ratte gelebt“ist ab Mai im Buchhandel erhältlich. Preis: 14,95 Euro
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria