Eine Frage der Evidenz
Eine Salzburger Philosophin erforscht, wann Vorhersagen vertrauenswürdig sind
Seit der Jahrtausendwende steigen die Masernfälle in Österreich und Europa wieder an. Es gibt Epidemien und Todesfälle. Warum? Ein Hauptfaktor ist die geringe Impfrate. Immer wieder wurden Ängste geschürt, dass die Masernimpfung Autismus auslöse. „Als man in England die Masernimpfung an Schulen einführte, wurden zur gleichen Zeit die Diagnosekriterien von Autismus erweitert. Deshalb kam es zufällig gleichzeitig zu einem Anstieg an Masernimpfungen und an diagnostizierten Fällen von Autismus“, erläutert Charlotte Werndl, Professorin für Logik und Wissenschaftstheorie an der Universität Salzburg. „Das ist alles. Es gibt keine Belege, dass die Masernimpfung
Autismus verursacht, darüber sind sich alle seriösen Studien einig.“
Präsident Trump behauptete, dass die letzte Kältewelle in den USA zeige, dass es den Klimawandel nicht gibt. „Dieses Argument geht fehl“, so Werndl. „Es kann kalte Wetterphasen geben, obwohl die Durchschnittstemperatur der Erde steigt. Dass diese steigt, ist klar belegt. Der Klimawandel ist also real.“
Die Frage, die bei den Impfungen und dem Klimawandel zugrunde liegt, ist jene der Evidenz. Wann sind Vorhersagen vertrauenswürdig? Hierfür braucht man gute Evidenz, also viele belegbare Daten. Was gute Evidenz ausmacht, ist eine Hauptforschungsfrage von Werndl. „Diese Frage ist sowohl für gesellschaftliche Entscheidungen als auch für jeden persönlich höchst relevant“, so die Philosophin. Das sei auch das Prinzip der evidenzbasierten Medizin, das bedeute, keine Behandlung mit Methoden oder Medikamenten, deren Wirkung nicht wissenschaftlich belegt ist.
In ihrer Forschung hat Werndl etwa auch die Evidenzlage für globale mit lokalen Klimavorhersagen verglichen. Sie argumentiert, dass globale Vorhersagen, wie jene der Durchschnittstemperatur der Erde, stark durch Evidenz gestützt sind. Für lokale Vorhersagen, etwa wie sich der Niederschlag in Washington ändern wird, gibt es allerdings keine oder nur schwache Evidenz. Sie weist darauf hin, dass es problematisch sein kann, wenn sich Entscheidungsträger auf nicht klar gestützte lokale Vorhersagen verlassen.
„In Zeiten von Fake News und postfaktischer Politik ist es wichtig, evidenzbasierte Entscheidungen zu verteidigen. Die Philosophie leistet einen wichtigen Beitrag, indem sie solch grundlegende Fragen stellt, Antwortmöglichkeiten prüft und die besten Antworten verteidigt“, so Werndl. Der britische Arts and Humanities Research Council und der Economic and Social Research Council unterstützen ihre Arbeiten.
In Zeiten von Fake News und postfaktischer Politik ist es wichtig, evidenzbasierte Entscheidungen zu verteidigen. Prof. Charlotte Werndl