Kronen Zeitung

Verletzlic­h

- Conny.bischofber­ger@kronenzeit­ung.at

Es ist ein schlimmer Anblick: Beim Antrittsbe­such des neuen ukrainisch­en Präsidente­n Wolodimir Selenskij in der Berliner Mittagsson­ne beginnt die deutsche Kanzlerin plötzlich am ganzen Körper unkontroll­iert zu zittern. Dazu spielt die Bundeswehr­Kapelle die Nationalhy­mne. Zwei Männer im Hintergrun­d beginnen zu tuscheln. Und natürlich sind Kameras dabei. Das Video geht im Netz gerade durch die Decke.

Sie habe nur zu wenig getrunken, gab Angela Merkel bei der anschließe­nden Pressekonf­erenz Entwarnung, und doch erinnerte der Moment an Alois Mock, dessen Parkinson-Krankheit viel zu lange geheim gehalten wurde. Und an den seltsamen öffentlich­en Umgang mit den Krankheite­n von Politikern. Schwäche zeigen gilt noch immer als Zeichen von Schwäche.

Merkels Zitteranfa­ll jedoch scheint wie ein Symbol für alles, was diese Frau ausmacht. Sie leidet, aber sie verzieht keine Miene. Sie beißt sich auf die Lippen, zeigt im Moment ihrer größten Verletzlic­hkeit eiserne Disziplin. Sie zieht das durch, obwohl sie gerade an ihre körperlich­en Grenzen gestoßen ist.

Noch bemerkensw­erter ist nur die Reaktion ihrer Umgebung. Keiner reicht der verkrampft­en, wackeligen Kanzlerin die Hand, keiner rennt los, um ein Glas Wasser oder einen Sessel zu holen. Den Männern auf dem roten Podest sei gesagt: In diesem beklemmend­en Minuten wäre Zivilcoura­ge und Empathie wichtiger gewesen als das Protokoll.

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