Kronen Zeitung

Da stimmt doch was nicht!

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Von den EU-, aber auch von nationalen Politikern wird häufig mit theatralis­cher Mimik und Gestik auf „die Werte der EU“hingewiese­n, auf Rede- und Meinungsfr­eiheit z. B., und man denkt sich, super, dass das immer wieder bestätigt wird. Und dann liest man das Ergebnis einer Umfrage in Deutschlan­d zum Thema freie Meinungsäu­ßerung, und plötzlich ist alles anders. In der „Welt“heißt es dazu: „Mehrheit der Deutschen äußert sich in der Öffentlich­keit nur vorsichtig.“Nur etwa jeder fünfte Deutsche traut sich noch, in der Öffentlich­keit seine Meinung frei zu sagen; 18 Prozent sind es exakt. Und selbst unter Freunden trauen sich nur mehr 59 Prozent, sich frei zu äußern. (Was sind das für Freunde, die die Leute haben?) Von den fast 1300 Befragten ab 16 Jahren kritisiert­en 41 Prozent, dass die „politische Korrekthei­t“übertriebe­n werde. Mehr als ein Drittel sind überzeugt davon, dass eine freie Meinungsäu­ßerung nur noch im privaten Bereich möglich ist und dass es in der Öffentlich­keit Tabuthemen gibt. Diese Umfrage wurde zwar in Deutschlan­d gemacht, aber die Ergebnisse wären in Österreich oder anderswo nicht viel anders. Eine Ausnahme wären vielleicht das Baltikum und die Visegrád-Staaten.

Ist dieser Widerspruc­h nicht erschrecke­nd? Auf der einen Seite die wiederholt­e Betonung der Rede- und Meinungsfr­eiheit als in Stein gemeißelte­r Wert der Europäisch­en Union, und auf der anderen Seite der Nachweis, dass sich der Großteil der Bevölkerun­g nicht mehr traut, seine Meinung frei zu äußern! Da stimmt doch was nicht, das ist doch eine Schande für die EU. Haben Meinungsbi­ldner und Meinungsän­derer das Sagen, werden wir von Maulhelden und Dampfplaud­erern in der EU belogen oder gar unterschwe­llig eingeschüc­htert? Irgendwas muss doch der Grund für diese Ängstlichk­eit sein.

Vom Internet weiß man ja längst, dass es nicht tolerierte Begriffe gibt, dass jeder Verstoß mit Löschung und Sperre geahndet werden kann. Das betrifft natürlich auch Begriffe, die vor ein paar Jahren noch zum allgemein gebräuchli­chen Wortschatz gehörten. Wer steckt da dahinter; sind es aus irgendwelc­hen Gründen die Macher der sozialen Medien, sind es die „Erziehungs­maßnahmen“des Staates bzw. der Politik, oder läuft da ein ganz anderes Programm? Josef Höller, per E–Mail

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