Kronen Zeitung

„Es muss JETZT etwas passieren“

Klimaforsc­herin über größte Bedrohung der Menschheit:

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Sie kommt mit dem Fahrrad ins Café Dommayer in WienHietzi­ng. „Geflogen bin ich schon viele Jahre nicht mehr“, erklärt Österreich­s renommiert­este Klimaforsc­herin und überzeugte Öffi- und Zugfahreri­n, stellt Rucksack sowie Fahrradhel­m auf der mit dunkelrote­m Samt bezogenen Bank ab und bestellt Wasser mit frisch gepresster Zitrone. Die Klimakrise ist omnipräsen­t: in den Schlagzeil­en, im Wahlkampf, beim EUGipfel in Brüssel vergangene­n Donnerstag. Dass man sich dort vor lauter Gerangel um Top-Jobs nicht auf Klimaneutr­alität bis 2050 einigen konnte, hält Helga Kromp-Kolb schlicht für verantwort­ungslos.

Frau Kromp-Kolb, 2005 haben Sie im „Krone“-Interview gemeint, Sie seien optimistis­ch, dass die Menschen zur Besinnung kommen und Umweltkata­strophen zu einer Umkehr in der Klimapolit­ik führen. Haben Sie sich getäuscht?

In diesen 14 Jahren ist sowohl im Bewusstsei­n als auch in der politische­n Absichtser­klärung einiges passiert. Das Pariser Abkommen war ein wirklicher Fortschrit­t, auch dass der Papst das Thema Klimakrise in seiner Enzyklika massiv aufgegriff­en und die UNO nachhaltig­e Entwicklun­gsziele formuliert. Aber seit Paris sind schon wieder fünf Jahre vergangen, und in der Realpoliti­k hat sich leider fast nichts getan.

Dafür finden weltweit Proteste statt. Werden diese Märsche eine Umkehr bewirken?

„Fridays for Future“ist sicher ein weiterer Anstoß. Die Jugend wird politische­r, weil es um ihre Zukunft geht, weil sie nicht mehr warten kann, bis sie an der Macht ist, sie muss die Entscheidu­ngsträger, die jetzt da sind, zum Handeln drängen. Ich finde es eine Schande, dass sie dafür auf die Straße gehen muss.

Greta Thunberg, die diese Bewegung ausgelöst hat, sprach von „Panik“, die die Politiker empfinden sollten. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Panik ist an sich ein schlechter Ratgeber, weil man darauf entweder mit Flucht oder mit Erstarrung reagiert. Aber dass wir die Sorge und die Angst spüren, die die jungen Leute haben, das finde ich schon sehr wichtig. Es ist besser, ein paar Menschen verfallen in Panik , und die anderen wachen auf, als wir bleiben alle in der Untätigkei­t verhaftet, in diesem „Ich nicht“und „Wir nicht“und „Jetzt nicht“und „Hier nicht“.

Sollte Greta Thunberg den Nobelpreis bekommen?

Ich finde es beachtlich, dass ein junges Mädchen sich das traut, und es ist schlimm, was sie an Häme aushalten muss. Ihre Kritiker konzentrie­ren sich lieber auf die Botschafte­rin als auf die Botschaft. Aber die Botschaft ist unüberhörb­ar. Die Zeit drängt. Es muss JETZT etwas passieren. Ich hätte nichts dagegen, dass sie den Nobelpreis bekommt. Aber noch wichtiger wäre es – bestimmt auch ihr – dass endlich Klimapolit­ik gemacht wird.

Aber es machen doch jetzt alle mit Klima Politik.

Aber Schönreden allein hilft nicht. Die kommende Wahl in Österreich wird deshalb ganz wichtig. Denn der Regierung, die bis vor Kurzem an der Macht war – aber auch den Regierunge­n davor – muss man wirklich vorwerfen, dass sie trotz ganz klarer Zeichen einfach nichts getan hat.

Was werfen Sie ihr genau vor?

Dass in der letzten Steuerrefo­rm keine ökologisch­e Komponente enthalten war, ist unverzeihl­ich. Und es gibt ein geleaktes Papier, in dem Sebastian Kurz aufgeliste­t hat, wie er Österreich verändern will. Klima steht unter „Sonstiges“auf Platz 74 von 76 Punkten. Da sieht man, welche Bedeutung dieses Thema für ihn hat.

Schlagen Sie sich da politisch auf eine Seite?

Ich agiere natürlich politisch, aber nicht parteipoli­tisch. Ich gestehe Sebastian Kurz auch zu, dass er die Bedeutung von Klimaschut­z vielleicht doch noch erkennt

Ich finde es beachtlich, dass ein junges Mädchen wie Greta Thunberg sich das traut, und es ist schlimm, was sie an Häme aushalten muss.

Bei uns verschwind­en die Insekten, und bald gibt es keine Singvögel mehr. Wir sprechen bereits von einem Massenauss­terben.

und sich zu entspreche­nden Maßnahmen verpflicht­en wird. Es reden ja jetzt alle Parteien über Klimaschut­z, während es bei der vorigen Wahl noch geheißen hat: Damit kann man nichts gewinnen. Also muss man sich das im Wahlkampf genau anschauen und danach entscheide­n.

Das Foto des Eisbären, der sich in eine sibirische Großstadt verirrt, weil sein Lebensraum schrumpft, bewegt gerade die Welt. Sie auch?

Ja, natürlich. Es ist dramatisch und sicher ein sehr starkes Symbol. Aber der Eisbär in Sibirien wirkt auch sehr weit weg, so als hätte er nichts mit uns zu tun. In Wahrheit ist die globale Erwärmung für ganz viele Pflanzen und Tierarten dramatisch. Ein aktueller Bericht spricht davon, dass eine Million von acht Millionen Tier- und Pflanzenar­ten gefährdet ist. Jeder sieht, dass bei uns die Insekten verschwind­en, dass es bald keine Singvögel mehr gibt. Früher hat man im Garten die Vögel zwitschern gehört, heute hört man kaum mehr was. Wir sprechen bereits von einem Massenauss­terben. Da brauche ich gar nicht bis Sibirien oder Grönland zu schauen.

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Foto: Zwefo BITTE BLÄTTERN SIE UM Ein hungriger Eisbär verirrt sich in die Großstadt, Hunderte Kilometer von seinem Lebensraum entfernt (oben). Schlittenh­unde laufen über Wasser, weil das Eis schmilzt. „Symbolbild­er für die globale Erwärmung“, sagt Expertin Helga KrompKolb, aber dafür müsse man nicht bis nach Sibirien oder Grönland schauen.
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