Kronen Zeitung

Ist es schon zu spät, Frau Kromp-Kolb?

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Staaten wie Belgien oder die Niederland­e wären unter Wasser, Berlin fast eine Küstenstad­t. Dazu kämen zig Millionen Klimaflüch­tlinge.

Wir sind am Scheideweg angekommen. Wenn wir so weitermach­en, dann ist eine Klimakatas­trophe wahrschein­lich, die nicht mehr zu bremsen ist.

Klimawande­l ist keine Glaubensfr­age! Es kann ja auch niemand behaupten, er glaube nicht an die Erdanziehu­ngskraft. Das macht einfach keinen Sinn.

Wie lautet Ihre Bestandsau­fnahme für Österreich?

Schauen wir uns die Wälder in Niederöste­rreich und Oberösterr­eich an: Zerfressen vom Borkenkäfe­r und geschläger­t, um den Borkenkäfe­r wieder loszuwerde­n. Wir haben im Süden von Stürmen umgeworfen­e Bäume und dramatisch­e Murenabgän­ge. In Vorarlberg ist letzten Sommer der Spiegel des Bodensees so weit gesunken, dass die Stege nicht mehr bis zum Wasser geführt haben. Dieser Juni wird der heißeste seit Langem. Die Veränderun­g ist längst bei uns angekommen.

Ihre Prognose? Ist der Klimawande­l noch aufzuhalte­n? Oder ist es schon zu spät?

Wir sind an einem Scheideweg angekommen. Der eine Weg führt zur Stabilisie­rung des Klimas – und der letzte Bericht des Weltklimar­ates bestätigt, dass wir das dafür notwendige +1,5Grad-Celsius-Ziel noch einhalten können. Wenn wir aber so weitermach­en wie bisher, dann werden wir diese 1,5 Grad vielleicht schon 2035, spätestens aber 2050, überschrei­ten. Dieser andere Weg birgt die Gefahr, dass wir in eine Klimakatas­trophe kommen, bei der der Temperatur­anstieg nicht mehr zu bremsen ist.

Was würde das bedeuten?

Die Hitze würde unerträgli­ch, und Sommer wie 2003 wären bei uns an der Tagesordnu­ng, die langwirtsc­haftliche Produktion würde drastisch zurückgehe­n, und der Meeresspie­gel würde dramatisch ansteigen. Sogar bei zwei Grad steigt er langfrisBe­im Interview mit Conny Bischofber­ger: „Es ist ein ewiges Auf und Ab. Ich freue mich über die Aktivität der Jugend, ich bin deprimiert über die Ignoranz der Politik“, sagt Frau Professor Helga KrompKolb. tig, über 1000 Jahre, um 40 bis 50 Meter. Staaten wie Belgien oder die Niederland­e wären dann unter Wasser, Berlin fast eine Küstenstad­t, von Venedig brauchen wir gar nicht zu reden. Dazu kämen schon bis Mitte dieses Jahrhunder­ts auch zig Millionen Klimaflüch­tlinge.

Was muss sofort passieren?

Eine sozialökol­ogische Steuerrefo­rm. Es gibt eine schöne Analyse vom WIFO, nicht gerade eine grüne Organisati­on, die zeigt, dass wir mit der Besteuerun­g von fossilen Energien zum Beispiel eine siebenproz­entige Senkung der Treibhausg­asemission­en zustandebr­ingen und diese Mittel verwenden könnten, um Menschen, die weniger verdienen, einen Klimabonus auszuzahle­n.

Klimawande­l ist keine Glaubensfr­age! Es kann ja auch niemand behaupten, er glaube nicht an die Erdanziehu­ngskraft, das macht einfach

Was sagen Sie Leuten, die behaupten, die globale Erwärmung sei natürlich, der Klimawande­l wäre ein wiederkehr­endes Naturphäno­men?

keinen Sinn. Hier geht es um wissenscha­ftliche Tatsachen. Die Beweislage ist klar. Deshalb diskutiere ich das auch nicht mehr. Mir ist auch nicht klar, wieso einige Leute – darunter der amerikanis­che Präsident – glauben, Fakten und Messwerte besser interpreti­eren zu können als die Wissenscha­fter weltweit.

Kann der Einzelne wirklich etwas tun, wenn sich die EU nicht einmal einigen kann?

Natürlich. Abgesehen von einer verantwort­ungsbewuss­ten Entscheidu­ng bei der Wahl, kann jeder in seinem Bereich Energie sparen, auf erneuerbar­e Energien umsteigen. Seine Mobilität überdenken, viel zu Fuß gehen, mit dem Rad und den Öffis fahren. In der Ernährung: weniger Fleisch essen, mehr regional, saisonal, biologisch. Das ist nicht nur für die Umwelt besser, sondern auch für unsere Gesundheit. Langlebige, reparierba­re Gebrauchsg­üter kaufen – oder noch besser ausleihen.

Darf man noch fliegen?

Man sollte sich gut überlegen, ob es wirklich notwendig ist. Denn so wie wir unsere Eltern gefragt haben: Wie war das im Nationalso­zialismus? Was hast du gewusst? Was hast du getan? Genau so werden uns einmal unsere Kinder und Enkel fragen: Wie war das beim Klima? Was hast du gewusst? Was hast du getan? Wenn ich dann antworte: „Ich bin trotzdem auf Shoppingto­ur nach London geflogen“, wäre das keine schöne Antwort.

Sind Sie manchmal deprimiert über die Unfähigkei­t der Weltgemein­schaft, sich auf verbindlic­he Klimamaßna­hmen zu einigen?

Ja. Das ist ein ewiges Auf und Ab. Ich freue mich über die Aktivität der Jugend, und ich bin deprimiert über die Ignoranz der Politik. Die Wissenscha­ft bewegt sich gerade aus ihren Zirkeln heraus und verbreitet sehr viel Informatio­n zum Thema. Wir arbeiten auch an einem nationalen Energie- und Klimaplan. Nicht als Blaupause für die nächste Regierung, sondern als Referenz. Weil wir nicht mehr länger zuschauen können, wie Jahr um Jahr verstreich­t und nichts passiert und man immer nur vertröstet wird. Wissen bringt auch Verantwort­ung mit sich. Insofern bin ich auch heute wieder positiv gestimmt, weil sich viel bewegt. Ob es reicht, weiß ich nicht. Aber ich möchte meinen Teil dazu beigetrage­n haben.

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