Kronen Zeitung

Versuchsst­ation für Weltunterg­ang

Wiener Neustadt: Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“, Paulus Manker Am Ende steht allen die Erschöpfun­g ins Gesicht geschriebe­n: Fast sieben Stunden lang bezwingt Paulus Manker Karl Kraus’ monumental­es und fast unspielbar­es Mammutwerk „Die letzt

- Oliver A. Láng

Manker und sein famoses Schauspiel­erteam in der Wiener Neustädter Serbenhall­e: imposant! Kraus reflektier­t nicht nur die Politik, sondern vor allem den Menschen im Ersten Weltkrieg. Ein Bild der Kriegsjahr­e, das jeden Hurra-Patriotism­us austreibt. Das Erschrecke­nde, das Böse, Dumme, Banale, Absurde ist plötzlich hautnah. Eine zynische und bittere Abrechnung! Eine Analyse des Verfalls und Untergangs Altösterre­ichs, dieser „Versuchsst­ation für den Weltunterg­ang“.

Diese Endzeitsti­mmung nimmt Manker in der großräumig­en Serbenhall­e (ein Ort mit dunkler NS-Vergangenh­eit) als Ausgangspu­nkt: das Zerschliss­ene der Kostüme, des Ambientes und der Requisiten zeigt auch das Herunterge­kommene der Gesellscha­ft, des Einzelnen. Was auch gefeiert wird, immer geht es abwärts.

Im Stationent­heater „Marke Manker“agieren die Darsteller simultan, die Zuschauer spazieren von Szene zu Szene und stellen sich so ihren persönlich­en Theaterabe­nd zusammen. Und sind auf Tuchfühlun­g mit den Schauspiel­ern. Endzeit einer Gesellscha­ft: Karl Kraus in Wiener Neustadt

Was diesen Abend von der legendären „Alma“-Produktion unterschei­det, ist die Reduktion des Intimen. Ein beachtlich­er Teil der Szenen spielt sich in der riesigen Zentralhal­le ab, die Darsteller skandieren im Chor . . . Großes Theater! Grenzen sprengend! Darunter versteht man im Falle des Manker’schen Zugangs nicht nur die emotionale und darsteller­ische Dimension. Es ist auch ein Formbegrif­f.

Alles ist imposant: Aufführung­sdauer, Verbrauch an Fackeln und Kerzen, Lautstärke, Gruppensze­nen, Räume, der Einsatz des dauernd rollenden Zugs. Suggestiv dröhnt Musik. Etwa Lohengrin und Zarathustr­a, aber auch der Csárdás von Monti. Alles brennt und raucht. Wo Feuer ist, ist Manker . . . Dass die intime Detailzeic­hnung durch den Reibungsve­rlust der großen Dimension reduziert ist, ist klar. Dafür nimmt Manker

sein Publikum auf einen beklemmend­en Trip durch die Schützengr­äben, Lazarette, Redaktions­stuben, zur SirkEcke und an die Front mit.

Beeindruck­end die Leistung der Darsteller. Was die Damen und Herren umsetzen, wie sie an die Grenzen gehen, schreien, mit großer Geste spielen, Rollen wechseln, klettern und den Raum füllen, ist unglaublic­h. Am Ende: kathartisc­he Erschöpfun­g. Aller Beteiligte­n! Stationent­heater: P. Manker

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Mit Hurra-Patriotism­us dem Ende entgegen: Paulus Mankers „Letzte Tage“-Supershow
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